9. Der Versorgungsausgleich bei einer internationalen Scheidung

  • Ist der Versorgungsausgleich überhaupt durchzuführen?

Anders als bei der Scheidung einer Ehe zwischen zwei Deutschen (die länger als drei Jahre gedauert hat)  findet der Versorgungsausgleich bei der Scheidung einer internationalen Ehe nicht automatisch statt. Vielmehr ist die Frage, ob der Versorgungsausgleich überhaupt durchzuführen von den Anwälten der Beteiligten zu prüfen und bei der Stellung des Scheidungsantrages strategisch zu berücksichtigen, je nachdem, welchen Beteiligten er vertritt.

Dabei gelten folgende Regelungen:51


  • Der Versorgungsausgleich bei einer internationalen Scheidung ist von Amts wegen (also ohne Antrag eines Beteiligten) nur dann durchzuführen, wenn danach deutsches Recht anzuwenden ist und ihn (den Versorgungsausgleich) das Recht eines der Staaten kennt, denen die Ehegatten im Zeitpunkt der Stellung des Scheidungsantrags angehören.

  • Darüber hinaus, ist der Versorgungsausgleich auf Antrag eines Ehegatten nach deutsche Recht durchzuführen, wenn einer der Ehegatten während der Ehe Versorgungsanwartschaften bei einem inländischen Versorgungsträger erworben hat und wenn zugleich die Durchführung des Versorgungs- ausgleichs - insbesondere im Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während der gesamten Ehezeit - der Billigkeit nicht widerspricht.

Bsp. 1
Ein russisches Ehepaar, das seit drei Jahren in Berlin lebt, möchte sich hier scheiden lassen. Beide Beteiligten sind selbständig und haben in Deutschland keine Versorgungsanwartschaften erworben.

Ergebnis: Für die Scheidung sind deutsche Gerichte zuständig, da beide Ehegatten ihren ständigen Aufenthalt in Berlin haben.52 Auf die Scheidung kommt auch deutsches Recht zur Anwendung (obwohl die Beteiligten russisches Staatsangehörige sind), weil beide Ehegatten ihren ständigen Aufenthalt in Berlin haben.53 Damit ist auch der Versorgungsausgleich nach deutschem Recht durchzuführen.54 Der Versorgungsausgleich wird jedoch nicht von Amts wegen durchgeführt, weil zwar deutsches Recht zur Anwendung kommt, jedoch das russische Recht (dem beide Ehegatten angehören) den Versorgungsausgleich nicht kennt. Ebenso kommt die Durchführung des Versorgungsausgleichs auf Antrag eines Ehegatten nicht in Betracht, weil keiner der Ehegatten in Deutschland Rentenanwartschaften erworben hat.

Bsp. 2
Die vietnamesische Ehefrau und der deutsche Ehemann leben in Hamburg und wollen sich scheiden lassen. Die Ehefrau arbeitet seit Jahren als Krankenschwester und hat während der Ehe Rentenanwartschaften in der Deutschen Rentenversiche- rung erworben. Der Ehemann ist selbständig und hat während der Ehe keine Rentenanwartschaften erworben.

Ergebnis: Für die Scheidung sind deutsche Gerichte zuständig, da beide Ehegatten ihren ständigen Aufenthalt in Hamburg haben.55 Auf die Scheidung kommt auch deutsches Recht zur Anwendung weil beide Ehegatten ihren ständigen Aufenthalt in Hamburg haben.56 Damit ist auch der Versorgungsausgleich nach deutschem Recht durchzuführen.57 Der Versorgungsausgleich ist hier von Amts wegen durchzuführen, weil das deutsche Recht (der Ehemann ist Deutscher) den Versorgungsausgleich kennt.58

  • Das Problem ausländischer Rentenanwartschaften

Nach dem Versorgungsausgleichsgesetz sind grundsätzlich auch ausländische Anrechte bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs zu berücksichtigen (ohne dass sie ausgeglichen werden müssen).  Das Gericht muss deshalb auch beim ausländischen Versorgungsträgern Auskunft über die dort erworbenen Anrechte eines Ehegatten einholen und diese im Rahmen des Versorgungsausgleichs berücksichtigen. In der Regel geschieht dies, indem das Gericht die deutsche Rentenversicherung mit der Einholung dieser Auskünfte beauftragt. Insbesondere wenn Rentenanwartschaften in Ländern außerhalb der EU erworben worden sind, kann dies zu einer jahrelangen Verzögerung des Scheidungsverfahrens führen.

Viele ausländische Versorgungsträger benötigen sehr lange, um die geforderte Auskunft zu erteilen, im Falle von Portugal beispielsweise kann das nach unserer Erfahrung im Extremfall Jahre dauern.

Eine Vielzahl von Staaten erteilt zudem grundsätzlich keine Auskunft zu den Rentenanwartschaften in Ihren Versicherungssystemen. Zu diesen Staaten gehören z. B.: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Bulgarien, Chile, Estland, Frankreich, Griechenland, Indien, Irland, Israel, Korea, Kosovo, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Malta, Moldau, Montenegro, Philippinen, Rumänien, Serbien, Slowenien, Spanien, Tschechien, Tunesien, Türkei, Ungarn, Uruguay, Das Vereinigtes Königreich und Zypern.

Andere Staaten schließlich haben Volksrentemsysteme, die für die deutschen Versorgungsausgleich grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Zu diesen Staaten gehören: Dänemark, Finnland, Island, Japan, Kanada und Norwegen.
  • Haben Sie oder Ihr Ehegatte Rentenanwartschaften im Ausland erworben, dann versuchen Sie unbedingt, diese bilateral durch eine Vereinbarung mit Ihrem Ehegatten auszugleichen. Vermeiden Sie wenn möglich, dass ausländische Rentenanwartschaften vom Gericht im Rahmen des Versorgungsausgleichs ausgeglichen werden müssen.

    Sie können dazu mit Ihrem Ehegatten eine Vereinbarung treffen, dass auf den Ausgleich ausländischer Rentenanwartschaften verzichtet wird, gegebenenfalls gegen eine Ausgleichszahlung. Formal kann solch eine Vereinbarung durch einen notariell beurkundeten Vertrag geschlossen werden, oder aber durch eine gemeinsame Erklärung gegenüber dem Gericht, das diese Vereinbarung dann protokolliert. Für die gerichtliche Protokollierung müssen allerdings beide Ehegatten im Scheidungsverfahren anwaltlich vertreten sein.

  • Fehlende Ausgleichsreife einer ausländischen Anwartschaft

Ist über den Ausgleich ausländischer Anwartschaften keine Einigung mit Ihrem Ehegatten möglich - etwa weil er Trennungsunterhalt erhält und deshalb daran interessiert ist, dass das Scheidungsverfahren möglichst lange dauert - besteht für Ihren Anwalt unter Umständen die Möglichkeit im gerichtlichen Verfahren einen zu erreichen dass das ausländische Anrecht vom Ausgleich bei der Scheidung ausgenommen wird.

Ausländische Anwartschaften gelten nach Definition des Gesetzes als nicht ausgleichsreif59 und deshalb findet grundsätzlich ein Ausgleich ausländischer Anwartschaften bei der Scheidung nicht statt.60 Es steht den Beteiligten frei, solche ausländischen Anrechte nach der Scheidung schuldrechtlich, entweder durch Vereinbarung oder im gerichtlichen Verfahren, auszugleichen

Dennoch sind ausländische Anwartschaften vom Gericht im Rahmen der Scheidung zu berücksichtigen und ihr Wert zu ermitteln. Womit das oben dargelegte Problem entsteht, dass das Scheidungsverfahren sich ewig hinziehen kann, weil die Auskünfte durch den ausländischen Versorgungsträger nicht erteilt werden.

Denn das Gericht muss prüfen und ermitteln, ob in einem derartigen Fall (kein Wertausgleich eines ausländischen Anrechts) im Rahmen der Scheidung auch der Ausgleich sonstige Anrechte der Ehegatten (im Inland) vom Wertausgleich auszuschließen sind, weil der Ausgleich nur der sonstigen Anrechte für den anderen Ehegatten unbillig wäre (sog. Ausgleichssperre)61.

Seht danach die Unbilligkeit fest, kann das Gericht von einem Wertausgleich - inländischer Anrechte - aus Billigkeitsgründen abgesehen. Es entspricht der Billigkeit, Anrechte vom Wertausgleich bei der Scheidung auszunehmen, die den ausländischen Anrechten der Gegenseite ungefähr im Wert entsprechen, wenn das Ausländerrecht hinreichend gesichert, bewertbar und mit den Anrechten im Inland gut vergleichbar ist.62

Bsp. Der Ehemann hat in Brasilien Anrechte mit einem Kapitalwert von 50.000 € erworben. Die Ehefrau hat in Deutschland Anrechte mit einem Kapitalwert von 50.000 € erworben, der Ehemann hat in Deutschland keine Anrechte erworben. Da der Ausgleich der Anrechte in Brasilien unterbleibt (mangelnde Ausgleichsreife) wäre es unbillig, im Rahmen der Scheidung den Ausgleich der deutschen Anwartschaften vorzunehmen, denn die Ehefrau wäre dem Ehemann im Saldo ausgleichspflichtig obwohl dieser seine brasilianischen Anwartschaften nicht ausgleichen muss.

Unbilligkeit ist in solchen Fällen wird von der Rechtsprechung bejaht, wenn die ausländischen Anrechte wertmäßig nicht ermittelt werden können63 , die ausländischen Anrechte einen sehr hohen Ausgleichswert haben, die ausländischen Anwartschaften mindestens so hoch sind wie die inländischen Anwartschaften des anderen Ehegatten.65
  • Ein Weg aus dem Dilemma in diesen Fällen, in denen der ausländische Versorgungsträger die Auskunft nicht erteilt und deshalb die Ehe nicht geschieden werden kann, kann wie folgt sein. Der Ehegatte, der ausländischen Anwartschaften erworben hat, verzichtet auf den Ausgleich erworbener inländischer Anwartschaften des anderen Ehegatten, gleicht jedoch seine im Inland erworbenen Anwartschaften aus. In diesem Fall kann es für den anderen Ehegatten nicht unbillig sein, dass die im Ausland erworbenen Anrechte des Mandanten nicht ausgeglichen werden. Denn hier profitiert der Ausgleichsberechtigte ausschließlich vom Ausgleich der inländischen Anwartschaften und kann schuldrechtlich, nach der Scheidung, immer noch den Ausgleich der ausländischen Anwartschaften vom Ausgleichsverpflichteten verlangen. Diese Lösung kostet den Ausgleichsverpflichteten zwar Gelder verzichtet auf den Ausgleich von 50% der inländischen Anwartschaften des anderen Ehegatten. Dennoch kann diese Lösung für ihn attraktiv sein, wenn es ihm vor allem darum geht in absehbarer Zeit geschieden zu werden.