4. Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen, 1572 BGB

Leidet ein Ehegatte an einer dauerhaften Krankheit, eines anderen Gebrechens oder einer Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte, aufgrund der von ihm eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann, kann er von seinem geschiedenen Ehegatten nachehelichen Unterhalt verlangen.

  • Die Anspruchsvoraussetzungen:

Vorliegen einer Krankheit, eines anderen Gebrechens oder einer Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte
Krankheit ist ein objektiv fassbarer regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf.168 Zu den sonstigen Gebrechen oder Schwächen zählen dauerhafte körperliche oder geistige Beeinträchtigungen wie etwa Blindheit, Taubheit, Lähmungen, Amputationen oder sonstige Körperbehinderungen, aber auch die angeborene Minderintelligenz169 sowie physische Erkrankungen wie beispielsweise massive Persönlichkeitsstörungen170, gesteigerte Alkohol- und Tablettenabhängigkeit171 oder schwere Depressionen.172

Von dem geschiedenen Ehegatten kann aus krankheitsbedingten Gründen eine angemessene Erwerbstätigkeit nicht mehr oder nicht in vollem Umfang erwartet werden.
Die Krankheit muss ursächlich dafür sein, dass von dem Berechtigten eine Erwerbstätigkeit nicht oder nicht in vollem Umfang erwartet werden kann. Ein Anspruch scheidet aus, wenn nur bestimmte Tätigkeiten nicht oder nur eingeschränkt, dagegen andersgeartete, leichtere Arbeiten vollschichtig verrichtet werden können173 oder wenn statt des früher ausgeübten Berufs eine andere angemessene Vollzeitbeschäftigung möglich ist.174

Vorliegen eines Einsatzzeitpunktes
Der Umstand, dass von dem geschiedenen Ehegatten aus krankheitsbedingten Gründen keine Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden kann, muss entweder bereits zum Zeitpunkt der Scheidung vorliegen oder sich unmittelbar an einen anderen ausgelaufenen nachehelichen Unterhaltsanspruch anschließen.

Eine im Zeitpunkt der Scheidung nur latent vorhandene Erkrankung kann keinen Unterhaltsanspruch begründen, wenn sie nicht in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Scheidung ausgebrochen ist und zur Erwerbsunfähigkeit des Unterhaltsberechtigten geführt hat.176

Die Obliegenheit zur Heilbehandlung
Bei allen Krankheiten trifft den Unterhaltsberechtigten eine Obliegenheit zur Behandlung der Erkrankung. Er hat alles erforderliche und ihm zumutbare zu tun, um seine Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen. Tut er dies nicht und ist sein Verhalten als mutwillig anzusehen, kann dies eine Verwirkung des Anspruchs gemäß § 1579 Abs. 4 BGB und mithin den Verlust des Anspruchs zur Folge haben.177 Einer Operation muss sich der Geschädigte unterziehen, wenn diese nicht mit besonderen Gefahren und Schmerzen verbunden ist und große Aussicht auf Heilung oder erhebliche Besserung besteht.178
168 Silke Kaplan in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 1572 BGB, Rn. 7.
169 Silke Kaplan in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 1572 BGB, Rn. 7.
170 OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Februar 1999 – 7 UF 265/98 Rn. 12 ff.
171 BGH, Urteil vom 13. Januar 1988 – IVb ZR 15/87 Rn. 18.
172 BGH, Urteil vom 28. April 2010 – XII ZR 141/0.
173 BGH, Urteil vom 27. Januar 1993 – XII ZR 206/91 Rn. 9.
174 BGH, Urteil vom 26. September 1990 – XII ZR 84/89 Rn. 12.
176 BGH, Urteil vom 27. Juni 2001 – XII ZR 135/99.
177 Silke Kaplan in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 1572 BGB, Rn. 17 f.
178 BGH, Urteil vom 15. März 1994 – VI ZR 44/93 Rn. 11.