OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Februar 1999
– 7 UF 265/98 Rn. 12 ff.

Fußnote 17o.

Gericht:

OLG Bamberg Senat für Familiensachen

Entscheidungsdatum:

04.02.1999

Aktenzeichen:

7 UF 265/98

ECLI:

ECLI:DE:OLGBAMB:1999:0204.7UF265.98.0A

Dokumenttyp:

Beschluss


Quelle:

 

Norm:

§ 1572 BGB

Zitiervorschlag:

OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Februar 1999 – 7 UF 265/98 –, juris



            Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt: Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Berechtigten durch massive Persönlichkeitsstörungen

Leitsatz

            Liegen beim Unterhaltsberechtigten persönlichkeitsimmanente Gegebenheiten vor, die seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen, wie geringe Vitalität, geringe Ausdauer und Belastbarkeit, rasche Erschöpfung und dergleichen, so handelt es sich hierbei um andere Gebrechen oder Schwächen, die einen Anspruch nach BGB § 1572 begründen können.

Fundstellen
OLGR Bamberg 1999, 352-​353 (Leitsatz und Gründe)
FamRZ 2000, 231-​233 (Leitsatz und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend AG Coburg, kein Datum verfügbar, 2 F 750/96
Diese Entscheidung wird zitiert
Kommentare
Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-​BGB
● Silke Kaplan, 10. Auflage 2023, § 1572 BGB
Staudinger, BGB
● Verschraegen, BGB § 1572 Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen; II. Voraussetzungen; 1. Krankheit, Gebrechen, Schwächen 2014
Sonstiges
Borth, Praxis des Unterhaltsrechts
● Borth, E. Die weiteren nachehelichen Unterhaltstatbestände gemäß §§ 1571–1576 BGB; …; II. Unterhalt wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte ...
Duderstadt, Unterhaltsrecht
● Jochen Duderstadt, 7 Nachscheidungsunterhalt; 7.3 Krankheitsunterhalt (§ 1572)
Horndasch, AnwF Familienrecht
● Dr. Peter Horndasch, § 4 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; IV. Unterhalt wegen Krankheit, § 1572 BGB
Krenzler/Borth, Anwalts-​Handbuch Familienrecht
● Grisebach, Kapitel 6 Unterhalt; C. Ehegattenunterhal…; I. Grundlagen und Vo…; 4. Die Unterhaltsart…; c) Nachehelicher Unt…; ff) Die Unterhaltsta…; (3) Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen, §
Viefhues et al., Das familienrechtliche Mandat - Unterhaltsrecht
● Dr. K.-​Peter Horndasch, § 3 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; IV. Unterhalt wegen Krankheit, § 1572 BGB

Gründe

1           (Übernommen aus OLGR Bamberg)

2           … Der Antragsteller stützt seine beabsichtigte Berufungsbegründung im Kern auf folgende Erwägungen:

3           a) Die Antragsgegnerin habe ihren Nachscheidungsunterhaltsanspruch gem. § 1579 Ziffer 7 BGB wegen Aufnahme ehewidriger Beziehungen aus intakter Ehe heraus verwirkt;

4           b) die Antragsgegnerin sei verpflichtet und auch befähigt, ihren Unterhaltsbedarf durch eigene Erwerbstätigkeit zu decken, und folglich nicht bedürftig;

5           c) selbst wenn die Antragsgegnerin derzeit ihren Unterhaltsbedarf nicht durch eigene Erwerbstätigkeit voll decken könne, sei zumindest eine Begrenzung der Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin auf ein Jahr angebracht, weil die Antragsgegnerin in diesem Zeitraum ihre Erwerbsfähigkeit jedenfalls so weit herstellen könne, daß sie danach nicht mehr unterhaltsbedürftig sei.

6           Hinsichtlich sämtlicher dieser potentiellen Rechtsmittelangriffe verspricht die beabsichtigte Berufung nach dem gegenwärtigen Aktenstand keinen Erfolg.

7           Zu Ziffer a) räumt die Antragsgegnerin zwar ein, „kurz vor dem Rauswurf aus der ehelichen Wohnung” (Anfang März 1996) ein Verhältnis mit einem anderen Mann begonnen zu haben (welches allenfalls drei Monate gedauert habe). Sie bestreitet aber, dabei aus einer intakten Ehe ausgebrochen zu sein. Vielmehr sei ihre Ehe mit dem Antragsteller zu diesem Zeitpunkt längst zerrüttet gewesen. Schon seit Mitte des Jahres 1994 hätten die Parteien keinen ehelichen Verkehr mehr gehabt, weil sie sich auseinandergelebt und gestritten gehabt hätten.

8           Nach Maßgabe der Sachdarstellung der Antragsgegnerin läge nach der Rechtsprechung des BGH weder ein Ausschlußgrund gem. § 1579 Ziffer 6 BGB, noch der vom Antragsteller herangezogene Ausschlußgrund des § 1579 Ziffer 7 BGB vor.

9           Grundsätzlich trägt die Beweislast dafür, daß die Unterhaltsberechtigte sich entgegen ihrem Vorbringen ein den Nachscheidungsunterhalt ausschließendes einseitiges Fehlverhalten aus intakter Ehe heraus zuschulden kommen ließ, der Unterhaltsschuldner, der sich auf Herabsetzung oder gar gänzlichen Ausschluß des Unterhalts beruft; er muß eine etwaige hiervon abweichende, gegen den Unterhaltsausschluß sprechende Sachdarstellung der Unterhaltsberechtigten ausräumen (vgl. Palandt, BGB, 58. Aufl., § 1579 Rz. 6, 30 f m.w.N.).

10         In diesem Sinne geeigneten Beweis hat der Antragsteller bislang aber nicht angeboten, er ist noch nicht einmal der Antragserwiderung der Antragsgegnerin substantiiert entgegengetreten.

11         b) Hinsichtlich der Bedürftigkeit der Antragsgegnerin teilt der Senat nach dem gegenwärtigen Aktenstand die Erwägungen des Erstgerichts im angegriffenen Urteil und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese Bezug.

12         Dem ist wegen der Zitierweise im angegriffenen Urteil - „die Antragsgegnerin hat … in der ausgeurteilten … Höhe einen Unterhaltsanspruch gem. §§ 1572 Nr. 1, 1573 Abs. 2 BGB” - zur Klarstellung im Hinblick auf § 1573 Abs. 5 BGB (vgl. Palandt, BGB, 58. Aufl., § 1573 Rz. 29 m.N. zur obergerichtlichen Rechtsprechung) anzufügen, daß nach dem gegenwärtigen Aktenstand der streitgegenständliche Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ausschließlich auf § 1572 Ziffer 1 BGB beruht, nicht hingegen auf der § 1572 BGB gegenüber subsidiären Vorschrift des § 1573 Abs. 2 BGB (zum Grundsätzlichen vgl. Palandt, BGB, 58. Aufl., § 1573 Rz. 2 m.w.N.).

13         Bei der Klägerin bestehen nämlich nach dem zuverlässig erscheinenden Gutachten des Sachverständigen Dr. C., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 22.6.1998 massive Persönlichkeitsstörungen, die gekennzeichnet sind durch geringe Vitalität, geringe Ausdauer und Belastbarkeit, rasche Erschöpfbarkeit, Konzentrationsschwäche, immer wieder auftretendes Versagen bei privaten sowie beruflichen Anforderungen und vegetative Störungen mit der hinzukommenden Besonderheit, daß die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Veranlagung auch nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage ist, diese allgemeine Leistungsschwäche zu kompensieren.

14         Nach dem plausibel begründeten Gutachten des Sachverständigen Dr. C. ist die Antragsgegnerin wegen ihrer Persönlichkeitsstörungen nur zur Verrichtung leichter körperlicher Tätigkeiten befähigt, und auch dies nur in Halbschicht, ohne Nachtdienst, ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Aufmerksamkeitsanforderungen und ohne besondere eigene Verantwortung - obwohl sie durchschnittliche Intelligenz aufweist und erst im 31. Lebensjahr steht. Die Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin ist damit aufgrund ihrer körperlichen und psychischen Behinderung gegenüber körperlich und geistig sowie seelisch gesunden Personen vergleichbaren Alters sowie vergleichbarer Kenntnisse und Fähigkeiten soweit reduziert, daß von der Antragsgegnerin eine umfangreichere als die vom AG Coburg ohnehin bereits rechnerisch unterstellte Erwerbstätigkeit zumindest auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist.

15         Dabei kann für das Ergebnis dieses Rechtsstreits dahingestellt bleiben, ob dieser Erwerbseinschränkung der Antragsgegnerin Krankheitswert im medizinischen Sinne zukommt. Zumindest sind diese vom Sachverständigen attestierten Persönlichkeitsstörungen der Antragsgegnerin nämlich nach der Gesamtfassung des § 1572 BGB als Gebrechen i.S. dieser Vorschrift zu würdigen, wofür im übrigen beispielsweise auch die Zumessungskriterien für die Berufsunfähigkeits- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß §§ 43, 44 SGB VI sprechen (vgl. zum Grundsätzlichen Palandt, BGB, 58. Aufl., § 1572 Rz. 5 m.w.N.).

16         Für das Ergebnis dieses Prozeßkostenhilfeverfahrens kann ferner dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese Persönlichkeitsstörungen der Antragsgegnerin behebbar sind; entscheidend ist für diesen Rechtsstreit nämlich darauf abzustellen, daß sie nach dem eingeholten fundierten Sachverständigengutachten tatsächlich und auf nicht absehbare Zeit bei der Antragsgegnerin bestehen und die im Unterhaltsrechtsstreit geltend gemachte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin zur Folge haben (vgl. Palandt, BGB, 58. Aufl., § 1572 Rz. 2).

17         Die Antragsgegnerin ist demnach auch unter Berücksichtigung des beabsichtigten Berufungsvorbringens des Antragstellers im ausgeurteilten Umfang bedürftig.

18         c) Mit der Festlegung der Anspruchsgrundlage auf § 1572 BGB entfällt schon von Gesetzes wegen die Möglichkeit einer originären zeitlichen Beschränkung des Nachscheidungsunterhalts gemäß § 1573 Abs. 5 BGB, wie sie der Antragsteller in seinem in Aussicht genommenen Berufungshilfsantrag erstrebt.

19         Nach dem gegenwärtigen Sachstand kommt im übrigen auch eine - vom Antragsteller bislang ohnehin nicht geltend gemachte - Befristung nach § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin nach Maßgabe des angegriffenen Urteils mit dem dort zugesprochenen Nachscheidungsunterhalt noch nicht einmal den ihr zustehenden notwendigen Mindestbedarf gemäß den Richtsätzen der Düsseldorfer Tabelle erreicht. Die Unbilligkeitsvoraussetzungen für eine Befristung gemäß § 1578 Abs. 1 S. 2 BGB liegen demnach offensichtlich nicht vor (zum Grundsätzlichen vgl. insoweit Palandt, BGB, 58. Aufl., § 1578 Rz. 37 m.w.N.). …