Fußnote 178 BGH, Urteil vom 15. März 1994 – VI ZR 44/93 Rn. 11.
Gericht: | OLG Frankfurt 8. Zivilsenat |
Entscheidungsdatum: | 16.07.2019 |
Aktenzeichen: | 8 U 228/17 |
ECLI: | ECLI:DE:OLGHE:2019:0716.8U228.17.00 |
Dokumenttyp: | Urteil |
Quelle: | |
Normen: | § 630d Abs 1 S 2 BGB, § 823 Abs 1 BGB, § 1627 BGB, § 1629 Abs 1 S 2 BGB |
Zitiervorschlag: | OLG Frankfurt, Urteil vom 16. Juli 2019 – 8 U 228/17 –, juris |
Aufklärungspflicht des Arztes vor der Beschneidung (Zirkumzision) eines Minderjährigen: Erforderlicher Co-Konsens von Eltern und Minderjährigem
Leitsatz Bei einer radikalen Zirkumzision handelt es sich nicht um einen lediglich geringfügigen Eingriff.(Rn.58)
Orientierungssatz Zur Wirksamkeit der Einwilligung in eine radikale Zirkumzision (Beschneidung) bedurfte es nach dem bis zum 25. Februar 2013 geltenden Recht der Einwilligung (und zuvor der Aufklärung) des Minderjährigen und seiner beiden Eltern (sog. Co-Konsens). Denn bei der Operation handelt es sich um einen ärztlichen Eingriff schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken und nicht um einen bloßen „Routinefall“.(Rn.57)
Fundstellen
GesR 2019, 714-718 (Leitsatz und Gründe)
FamRZ 2020, 336-339 (red. Leitsatz und Gründe)
MedR 2020, 383-387 (Leitsatz und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend LG Hanau, 23. November 2017, 7 O 1356/12
Diese Entscheidung wird zitiert
KommentareErman, BGB● Döll, § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze; 6. Gliederung der elterlichen Sorge
Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB● Vicari, 10. Auflage 2023, § 1631d BGB
Prütting/Helms, FamFG● Hammer, § 159 Persönliche Anhörung des Kindes; B. Inhalt der Vors…; II. Absehen von de…; 1. Absehensgründe …; c) Neigungen, Bindungen und Wille des Kindes nicht von Bedeutung (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3)
Staudinger, BGB● Dürbeck, § 1687 Ausübung der gemeinsamen Sorge bei Getrenntleben; IV. Gespaltenes gemeinsames Sorgerecht; 3. Fallgruppen; i) Gesundheitsversorgung 2023
● Lettmaier, § 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze; H. Grenzen elterlicher Sorge…; II. Begrenzung aufgrund Eigenz…; 2. Übergesetzliche Eigenzustän…; a) Einwilligung in die Verletz…; aa) Ärztliche Behandl 2020
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LiteraturnachweiseIsabell Götz, FamRZ 2020, 981-982 (Aufsatz)
Bernhard Kreße, MedR 2020, 387-390 (Anmerkung)
SonstigesDuderstadt, Kindschaftsrecht● Jochen Duderstadt, 1 Elterliche Sorge; 1.1 Allgemeines; 1.1.5 Exkurs: Religionszugehörigkeit des Kindes
Lack/Hammesfahr, Psychologische Gutachten im Familienrecht● Lack, b) Kind
Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das am 23. November 2017 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hanau (7 O 1356/12) abgeändert.
Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (Klageantrag zu 1) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsüberganges - verpflichtet ist, dem Kläger allen infolge seiner aufgrund der Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen.
Es wird ferner festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch allen infolge der durch die Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung noch entstehenden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen.
Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 5) ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Zur Verhandlung und Entscheidung über den Betrag des Schmerzensgeldanspruchs und das diesbezügliche Zinsbegehren, die mit dem Antrag zu 2 begehrte Schmerzensgeldrente, die Höhe des Anspruchs auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie über die Kosten - auch über die des Berufungsverfahrens - wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe I.
1 Der Kläger fordert von dem Beklagten Schmerzensgeld in Form eines Einmalbetrages und einer Rente ab September 2012, den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung, dass der Beklagte zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen hat.
2 Der Beklagte nahm bei dem Kläger am 7. September 20XX eine radikale Zirkumzision vor. Die vorherige Durchführung von Aufklärungsgesprächen ist zwischen den Parteien streitig. Unmittelbar vor der Operation unterzeichnete der Vater des zu dieser Zeit sechszehnjährigen Klägers ein „Merkblatt zum Aufklärungsgespräch mit dem Arzt über die Operation bei Verengung der Vorhaut (Phimose)“.
3 In den Tagen nach der Operation kam es zu einer ausgeprägten Wundinfektion und einer Nekrose an der Penisschafthaut. Der Kläger wurde daraufhin vom 11. September 20XX bis zum 29. September 20XX im Klinikum Stadt1 und anschließend bis zum 29. Oktober 20XX im A-Krankenhaus in Stadt2 stationär nachbehandelt.
4 Der Kläger hat behauptet, weder er noch seine Eltern seien ausreichend über die durchzuführende Operation aufgeklärt worden. Eine wirksame Einwilligung liege nicht vor. Namentlich die Mutter sei gegen eine Zirkumzision gewesen. Sie sei bei den behaupteten Aufklärungsgesprächen nicht anwesend gewesen.
5 Im Übrigen sei der Eingriff nicht medizinisch indiziert gewesen und nicht lege artis vorgenommen worden. Es sei deutlich zu viel Haut abgesetzt worden, weshalb sich Wundinfektion und Nekrose gebildet hätten.
6 Der Kläger hat überdies behauptet, er leide auch weiterhin unter andauernden Schmerzen. Sein körperlicher Zustand sei insgesamt schlecht, er habe zwischenzeitig unter einer Gewichtszunahme bis auf 180 kg gelitten. Darüber hinaus sei ihm ein Sexualleben nicht möglich. Aus den körperlichen Beeinträchtigungen ergäben sich erhebliche seelische Beeinträchtigungen, die zu Depressionen und Schulproblemen geführt hätten.
7 Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
8 1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn wegen der am 7. September 20XX an dem Kläger fehlerhaft, ohne hinreichende Aufklärung und ohne wirksame Einwilligung durchgeführten Zirkumzision und ihrer Folgen ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, das jedoch mindestens € 100.000,00 betragen soll, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. September 2012 zu zahlen;
9 2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ab September 2012 eine lebenslängliche monatliche Schmerzensgeldrente, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch mindestens € 100,00 betragen soll, zu zahlen, und zwar die bereits aufgelaufenen Renten sofort, im Übrigen vierteljährlich im Voraus bis zum 1. des jeweils ersten Quartalmonats nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab jeweiliger Fälligkeit;
10 3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen infolge seiner aufgrund der Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung entstandenen und noch entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger übergegangen sind;
11 4. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch allen infolge der durch die Operation vom 7. September 20XX eingetretenen Gesundheitsschädigung noch entstehenden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, sowie
12 5. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger das gezahlte vorprozessuale Anwaltshonorar in Höhe von € 3.637,92 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13 Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Er hat behauptet, seit dem Erstgespräch am 14. Oktober 2004 hätten diverse Aufklärungsgespräche unter Anwesenheit des Klägers und seiner Eltern stattgefunden, und zwar zunächst am 15. Dezember 2004 und am 10. Januar 2005, jedoch letzteres nur mit der Mutter. Weiterhin sei ein Aufklärungsgespräch am 11. Januar 2005 erfolgt, bei dem zumindest der Kläger und dessen Vater anwesend gewesen wären. Gesprochen worden sei dabei über die Einzelheiten des Eingriffs sowie die erhöhten Risiken aufgrund des festgestellten Übergewichts des Klägers. Am 7. Juli 2005 sei erneut unter Anwesenheit des Klägers und der Mutter über die Operation anhand des Merkblatts aufgeklärt worden. Dabei sei auch über die erforderliche Nachbehandlung und die einzuhaltende Hygiene gesprochen worden. Am Tag der Operation sei schließlich ein letztes Aufklärungsgespräch erfolgt, bei dem der Vater das Merkblatt zur Einwilligung unterzeichnet habe. Auch dabei seien der Kläger und die Mutter anwesend gewesen.
16 Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
17 Nach Vernehmung des Zeugen B sowie der Zeugin C und Einholung zweier schriftlicher Gutachten des Sachverständigen D, die dieser in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2016 (BI. 293 ff. d. A.) mündlich erläutert hat, hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
18 Zur Begründung hat das Landgericht u. a. ausgeführt, der Kläger habe nicht den Nachweis geführt, dass dem Beklagten Behandlungsfehler unterlaufen seien.
19 Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe für die Operation zumindest eine eindeutige relative Indikation bestanden. Ausweislich der Patientenkartei habe bei dem Kläger bei seiner ersten Vorstellung im Oktober 20XX eine relative Phimose (Vorhautverengung) mit entzündlich veränderter Vorhaut und eine Balanitis (Entzündung der Eichel des männlichen Penis) vorgelegen. Die Operation habe dazu gedient, künftigen Balanitiden und Behinderungen beim Geschlechtsverkehr vorzubeugen.
20 Der Beklagte habe die Beschneidung auch nicht behandlungsfehlerhaft vorgenommen. Selbst bei Annahme einer möglicherweise erfolgten übermäßigen Kürzung der Penishaut führe diese nach den Ausführungen des Sachverständigen weder zu einem vergrößerten Infektionsrisiko noch zu einem erhöhten Risiko der Abszedierung und Nekrose der Penisschafthaut. Typisches Risiko für die postoperativ aufgetretene Entzündung und nachfolgend aufgetretene Abszedierung sei nach Einschätzung des Sachverständigen vielmehr die Adipositas des Klägers.
21 Es fehle auch nicht an einer wirksamen Einwilligung. Im Streitfall habe der Beklagte den Eingriff an dem Kläger jedenfalls mit dessen Einwilligung vorgenommen.
22 Die Frage, ob die Eltern eingewilligt hätten, sei unerheblich. Bei männlichen Minderjährigen werde die Beschneidung als ein geringfügiger medizinischer Eingriff eingestuft, so dass auch nicht ausnahmsweise ein „Co-Konsens" mit den Eltern erforderlich gewesen sei.
23 Der zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits sechszehnjährige Kläger sei einwilligungsfähig gewesen. Bei einem Sechszehnjährigen sei anzunehmen, dass er nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung ermessen könne. Zwar existierten insoweit keine starren Altersgrenzen. Normalerweise liege die Altersgrenze für medizinische Mündigkeit indes bei sechzehn Jahren. Der Kläger habe hier das Pubertätsalter bereits erreicht gehabt. Ihm sei es mit sechzehn Jahren möglich gewesen, seine Wünsche und Neigungen selbständig zu äußern. Zur Orientierung diene die Religionsmündigkeit (§ 5 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung - RelKEG -).
24 Der Kläger habe seine Einwilligung zumindest konkludent gegenüber dem Beklagten erteilt. Für eine wirksame Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff sei eine ausdrückliche Erklärung des Patienten nicht erforderlich. Die extreme Gewichtsabnahme vor dem Eingriff belege, dass „sich der Kläger selbst um die Durchführung des Eingriffs“ bemüht habe. Ausweislich eines Eintrags in der Patientenakte vom 7. Juli 2005 habe er sogar um die Operation „gebettelt“. Schließlich habe der Kläger der Durchführung der Operation nicht widersprochen. Wenn er widerspruchslos die Vorbereitungen zur Operation über sich habe ergehen lassen, so habe der Beklagte aus diesem Verhalten des Klägers folgern können, dass dieser mit der beabsichtigten Beschneidung einverstanden gewesen sei.
25 Die Einwilligung des Klägers in die Operation sei auch wirksam gewesen, da dieser zuvor über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden sei. Der Vater des Klägers habe ein entsprechendes Merkblatt zur Aufklärung und Einwilligung am Tag der Operation unterzeichnet. Bei der Aushändigung und Unterzeichnung sei der Kläger zugegen gewesen. Die schriftlichen Hinweise in dem Merkblatt seien inhaltlich nicht zu beanstanden. Mit der Wundinfektion und Nekrose habe sich gerade das Risiko verwirklicht, über das habe aufgeklärt werden müssen und tatsächlich auch aufgeklärt worden sei.
26 Zwar könnte ein solches Merkblatt, das hier nicht vom Kläger unterzeichnet worden sei, nicht das erforderliche Arztgespräch ersetzen. Die Durchführung eines solchen Arztgespräches stehe indes nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Der Beklagte habe sich bei Gesprächen unter Anwesenheit des Klägers davon überzeugt, dass dieser die Hinweise des Merkblatts gelesen und verstanden habe, und ihm die Möglichkeit gegeben, auf seine individuellen Belange einzugehen und eventuelle Fragen zu beantworten. Der Kläger sei mehrfach in der Praxis des Beklagten gewesen. Der Beklagte habe im Rahmen seiner informatorischen Anhörung bekundet, dass er dem Kläger bei mehreren Gesprächen die bestehenden Risiken einer Wundheilstörung und Nekrose mündlich erläutert habe. Ihm sei der Fall aufgrund der Besonderheit des Übergewichts des Klägers noch gut in Erinnerung geblieben.
27 Die Aufklärung sei auch rechtzeitig erfolgt. Bei ambulanten Eingriffen reiche grundsätzlich eine Aufklärung am Tage des Eingriffs aus. Das gelte nur dann nicht, wenn die Aufklärung erst so unmittelbar vor dem Eingriff erfolge, dass der Patient unter dem Eindruck stehe, sich nicht mehr aus einem bereits in Gang gesetzten Geschehensablauf lösen zu können. Eine solche Drucksituation sei im Streitfall nicht ersichtlich.
28 Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Gründe wird auf das angegriffene Urteil (Bl. 406 ff. d. A.) Bezug genommen.
29 Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten als unbeglaubigte Kopie am 24. November 2017 (Bl. 414 d. A.) übermittelte und am 1. Dezember 2017 (Bl. 433 d. A.) formlos übersandte Urteil hat der Kläger mit einem hier am 20. Dezember 2017 eingegangenen Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 Berufung eingelegt (Bl. 422 f. d. A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. April 2018 (Bl. 448 d. A.) mit Anwaltsschriftsatz vom 10. April 2018 begründet, der hier noch am selben Tage eingegangen ist (Bl. 460 ff. d. A.).
30 Mit der Berufung beanstandet der Kläger insbesondere, dass entgegen der Ansicht des Landgerichts der Eingriff nicht von einer wirksamen Einwilligung getragen worden sei.
31 Die Operation sei gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mutter des Klägers und ohne seine Einwilligung vorgenommen worden. Weder der Vater noch die Mutter noch der Kläger seien über die Operation und mögliche Komplikationsrisiken aufgeklärt worden. Der Beklagte habe nicht einmal nachvollziehbar und plausibel erklärt, in welcher Weise er konkret wen (Kläger, Vater, Mutter?) über welche Risiken und alternativen Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt habe.
32 Die (alleinige) Einwilligungsfähigkeit des Klägers, der den Beklagten niemals allein, sondern stets „an der Hand" des Vaters aufgesucht habe, könne nicht unterstellt werden. Es hätte hier - so der Kläger weiter - auch seiner Aufklärung und Einwilligung und darüber hinaus der Einwilligung und Aufklärung beider Eltern bedurft.
33 Es treffe nicht zu, dass der Patient dadurch, dass er die Operationsvorbereitungen widerspruchslos über sich ergehen lasse, wirksam in die Operation einwillige. Ebenso rechtsirrig sei es, dass man dadurch umfassend aufgeklärt werden könne, dass man zugegen sei, wenn dem eigenen Vater ein Merkblatt ausgehändigt werde.
34 Auch der Vorwurf fehlerhaften Arzthandelns bleibe aufrechterhalten.
35 Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung des Klägers wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 10. April 2018 (Bl. 460 ff. d. A.) verwiesen.
36 Der Kläger beantragt,
37 unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Hanau vom 23. November 2017 nach den in erster Instanz zuletzt gestellten Anträgen (wie im Tatbestand des angefochtenen Urteils auf Blatt 407 ff. der Gerichtsakte angegeben) zu erkennen,
38 hilfsweise die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.
39 Der Beklagte beantragt,
40 die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
41 Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung des Beklagten wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 3. Mai 2018 (Bl. 474 ff. d. A.) verwiesen.
II.
42 Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden.
43 In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Zustellung der Abschrift des Urteils vom 24. November 2017 unwirksam gewesen ist.
44 Dies liegt allerdings nicht daran, dass auf dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellten Exemplar offenkundig der Verkündungsvermerk fehlte. Das Fehlen eines Verkündungsvermerks auf der zugestellten Ausfertigung macht die Zustellung nämlich nicht unwirksam (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 17.12.1986 - VIII ZB 47/86 -, VersR 1987, 680; Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Band 7, 4. Aufl. 2014, § 517, Rdnr. 8 und Rdnr. 13).
45 Anders liegt es jedoch hinsichtlich des ebenfalls fehlenden Ausfertigungsvermerkes. Der Ausfertigungsvermerk bezeugt als eine besondere Art der Beurkundung, dass die Ausfertigung mit der Urschrift des Urteils übereinstimmt. Wegen dieser Besonderheit verlangt das Gesetz, dass die Ausfertigung von einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen ist (§ 317 Abs. 4 ZPO). Mit der Unterschrift erklärt der Urkundsbeamte, dass die in der Ausfertigung wiedergegebenen Teile des Urteils gleichlautend mit denen der Urschrift sind. Diese Erklärung braucht nicht wörtlich in dem Ausfertigungsvermerk enthalten zu sein. Das Gesetz sieht eine bestimmte äußere Form für den Ausfertigungsvermerk nicht vor. Die Urteilsabschrift muss aber zumindest durch die Unterschrift des Urkundsbeamten, das Gerichtssiegel oder den Dienststempel und Worte wie „Ausfertigung” oder „ausgefertigt” erkennen lassen, dass es sich um eine Ausfertigung im Sinne des § 317 Abs. 4 ZPO handeln soll. Die Zustellung beglaubigter Abschriften, die den Beglaubigungsvermerk nicht enthalten oder ihn unvollständig wiedergeben, ist daher unwirksam, weil es damit für den Zustellungsempfänger an der Gewähr fehlt, dass das ihm zugestellte Schriftstück der Urschrift entspricht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 09.06.2010 - XII ZB 132/09 -, NJW 2010, 2519, 2519 f. m. w. N.).
46 Allerdings ist dieser Mangel des Zustellungsverfahrens hier geheilt worden.
47 Grundsätzlich unterliegen Mängel im Zustellungsverfahren der Heilung nach § 189 ZPO (vgl. etwa Heßler, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 517, Rdnr. 5). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt es sich etwa bei der durch die Geschäftsstelle veranlassten Zustellung einer einfachen statt einer beglaubigten Abschrift der Klageschrift um eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften, die nach § 189 ZPO geheilt werden kann (vgl. BGH, Teilversäumnis- und Schlussurteil vom 22.12.2015 - VI ZR 79/15 -, NJW 2016, 1517, 1518 f.). Dies spricht dafür, dass auch im Falle der Zustellung eines Urteilsexemplars ohne unterschriebenen Beglaubigungsvermerk eine Heilung nach § 189 ZPO in Betracht kommt. § 189 ZPO hat nämlich den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen, sondern die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der Zustellungszweck anderweitig erreicht wird (vgl. wiederum BGH, Teilversäumnis- und Schlussurteil vom 22.12.2015 - VI ZR 79/15 -, NJW 2016, 1517, 1519).
48 Vor diesem Hintergrund ist der Zustellungsmangel hier durch die formlose Übersendung der beglaubigten Abschrift des Urteils gemäß § 189 ZPO als geheilt anzusehen.
III.
49 Das angefochtene Urteil ist abzuändern. Auf die Berufung des Klägers ist ihm der geltend gemachte Anspruch auf Schmerzensgeld dem Grunde nach zuzusprechen (1). Den Feststellungsbegehren des Klägers ist durch Teilendurteil stattzugeben (2). In Bezug auf den erhobenen Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist die Klage dem Grunde nach begründet (3).
50 1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Aufklärung dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch aus den §§ 611, 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB zu.
51 a. Da ein Heileingriff erst durch die Einwilligung gerechtfertigt wird und diese eine ausreichende Aufklärung voraussetzt, muss im Arzthaftungsprozess grundsätzlich der Arzt darlegen und ggf. beweisen, dass er den Patienten in genügendem Maße über die Risiken des Eingriffs informiert hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15.03.2005 - VI ZR 289/03 -, NJW 2005, 1716, 1717).
52 Im Streitfall fehlt es - entgegen der Ansicht des Landgerichts - an einer hinreichenden Einwilligung.
53 Zwar wird man dem Landgericht noch insoweit folgen können, dass der Kläger selbst in den Eingriff zumindest konkludent eingewilligt hat. Eine konkludente Einwilligung kann im Einzelfall anzunehmen sein, wenn sich der Patient bewusst der Behandlung unterzieht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 20.12.1960 - VI ZR 45/60 -, NJW 1961, 261, 262: „Wenn sie daraufhin widerspruchslos die Vorbereitungen zur Operation über sich ergehen ließ, so konnte das Berufungsgericht aus diesem Verhalten der Klägerin folgern, daß sie mit der beabsichtigten Nagelung einverstanden war“; BGH, Urteil vom 18.03.1980 - VI ZR 155/78 -, NJW 1980, 1903: „[…] dass die Klägerin [den Eingriff] zwar möglicherweise widerwillig und zögernd, aber doch im Sinne einer Einwilligung hingenommen hat“; Katzenmeier, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 50. Edition, Stand: 01.05.2019, § 630d, Rdnr. 21). So lag es hier, da der Kläger explizit angegeben hat, dass er dem Eingriff nicht widersprochen hat.
54 Der Kläger war auch grundsätzlich einwilligungsfähig. Bei der Konkretisierung stellt man im Allgemeinen darauf ab, ob der Minderjährige konkret „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“ (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.1958 - VI ZR 266/57 -, BGHZ 29, 33, 36). Neben diesem kognitiven Moment ist jedoch noch ein voluntatives Element erforderlich. Der Minderjährige ist demnach auch dann einwilligungsunfähig, wenn er zwar über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt, aber nicht in der Lage ist, sich nach ihr zu verhalten (in diesem Sinne etwa Spickhoff, FamRZ 2018, 412, 418). Bei einem 16 Jahre alten Patienten kann man in Bezug auf eine radikale Zirkumzision eine so verstandene Einwilligungsfähigkeit annehmen. Anhaltspunkte dafür, dass dies beim Kläger - etwa wegen einer Entwicklungsverzögerung - anders liegen könnte, fehlen.
55 Entgegen der Ansicht des Landgerichts reichte jedoch eine Einwilligung allein des Klägers nicht aus.
56 Die Regelung in § 630d Abs. 1 Satz 2 BGB kann im Streitfall noch keine Anwendung finden. Die §§ 630a ff. BGB sind anwendbar auf Behandlungsverträge, die am oder nach dem 26. Februar 2013 geschlossen wurden. Auf davor abgeschlossene Verträge sind sie lediglich insoweit anzuwenden, als die daraus resultierenden Pflichten am oder nach dem Stichtag erfüllt werden (vgl. Katzenmeier, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 50. Edition, Stand: 01.05.2019, § 630a, Rdnr. 10).
57 Nach dem bis zum 25. Februar 2013 geltenden Recht genügte die Einwilligung allein eines Minderjährigen zumindest bei einerseits aufschiebbaren, andererseits aber nicht unwichtigen Entscheidungen über eine ärztliche Behandlung
nicht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.11.1971 - VI ZR 76/70 -, NJW 1972, 335, 337; noch enger BGH, Urteil vom 16.04.1991 - VI ZR 176/90 -, NJW 1991, 2344, 2345, und Urteil vom 15.06.2010 - VI ZR 204/09 -, NJW 2010, 2430, 2431: „Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats […] bedarf es bei einem minderjährigen Kind in den Fällen, in denen die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam zusteht, zu einem ärztlichen Heileingriff der Einwilligung beider Elternteile“; so auch Ellenberger, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, Überbl v § 104, Rdnr. 8; Diederichsen, in: G. Müller et al. (Hrsg.), Festschrift für Günter Hirsch zum 65. Geburtstag, 2008, S. 355, 359 ff.; Giesen, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 1995, Rdnr. 252; Nebendahl, MedR 2009, 197, 199 ff.; a. A. Belling, FuR 1990, 68, 76; Bichler, GesR 2014, 208, 211 f.; Spindler, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann (Hrsg.), beck-online.Grosskommentar, Stand: 01.05.2019, § 823, Rdnr. 847, die jeweils für ein Alleinentscheidungsrecht des Minderjährigen plädieren; vgl. ferner Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 630d, Rdnr. 42 f., der u. a. nach der Art des Eingriffs differenziert; vgl. auch noch BGH, Urteil vom 05.12.1958 - VI ZR 266/57 -, BGHZ 29, 33, 36, wonach die Einwilligung eines Minderjährigen zu einem Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit dann ausreichend sein soll, wenn die Einholung der elterlichen Zustimmung undurchführbar ist und der Minderjährige unmittelbar vor dem Erreichen der Volljährigkeitsgrenze steht).
58 Bei einer radikalen Zirkumzision handelt es sich keineswegs um einen lediglich geringfügigen Eingriff (a. A. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 630d, Rdnr. 39), was sich zum einen aus den hier unstreitig eingetretenen Folgen der Operation (vgl. auch die in dem Fall des LG Frankenthal, Urteil vom 14.09.2004 - 4 O 11/02 -, juris, geschilderten Folgen der Beschneidung) und zum anderen aus dem Umstand ergibt, dass eine Beschneidung nicht mehr ohne Weiteres rückgängig gemacht werden kann (vgl. etwa OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 21.08.2007 - 4 W 12/07 -, NJW 2007, 3580, 3581; Sonnekus, JR 2015, 1, 10; Putzke, in: ders. u. a. (Hrsg.), Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg, 2008, S. 669, 678 f.).
59 Soweit der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes davon ausgeht, dass einem minderjährigen Patienten bei einem nur relativ indizierten Eingriff mit der Möglichkeit erheblicher Folgen für seine künftige Lebensgestaltung ein Vetorecht gegen die Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter zustehen kann, wenn er über eine ausreichende Urteilsfähigkeit verfügt (s. BGH, Urteil vom 10.10.2006 - VI ZR 74/05 -, NJW 2007, 217), ist dies im Streitfall ohne Belang, da es hier nicht um einen Fall geht, in dem der Minderjährige sein Vetorecht gegen die durch seine Eltern erteilte Einwilligung geltend gemacht hat.
60 Zur Wirksamkeit der Einwilligung hätte es daher im Streitfall der Einwilligung (und zuvor der Aufklärung) des Klägers und
beider Eltern des Klägers (sog. Co-Konsens) bedurft. Die unzweifelhafte vorliegende Einwilligung nur des Vaters des Klägers zu der Operation reichte nicht aus, um den Eingriff in die körperliche Integrität des Klägers zu rechtfertigen:
61 Die elterliche Sorge für den Kläger stand nämlich beiden Elternteilen gemeinsam zu. § 1627 BGB setzt das voraus. Rechtsgeschäftlich haben beide Eltern ihr Kind im Sinne einer Gesamtvertretung zu vertreten (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB). Wenn die Einwilligung der Eltern in einen ärztlichen Eingriff bei ihrem Kind auch kein Rechtsgeschäft ist, sondern Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen, so ist auch diese Einwilligung Ausübung der elterlichen Personensorge mit der Folge, dass sie wirksam nur im Einvernehmen beider Eltern erteilt werden kann (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28.06.1988 - VI ZR 288/87 -, NJW 1988, 2946, 2946 f.; Giesen, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 1995, Rdnr. 252).
62 Wenn es um die ärztliche Behandlung eines minderjährigen Kindes geht, wird allerdings typischerweise davon ausgegangen werden können, dass der mit dem Kind beim Arzt oder im Krankenhaus vorsprechende Elternteil aufgrund einer allgemeinen Funktionsaufteilung zwischen den Eltern auf diesem Teilgebiet der Personensorge oder einer konkreten Absprache ermächtigt ist, für den Abwesenden die erforderliche Einwilligung in ärztliche Heileingriffe nach Beratung durch den Arzt mitzuerteilen. Der Arzt wird in Grenzen auf eine solche Ermächtigung vertrauen dürfen, solange ihm keine entgegenstehenden Umstände bekannt sind. Sicherlich widerspräche es dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und den Sorgeberechtigten eines behandlungsbedürftigen Kindes, stets den Nachweis einer irgendwie gearteten Ermächtigung oder Einverständniserklärung des nicht anwesenden Elternteiles beim Arzt zu verlangen. Eine derartige bürokratische Handhabung wäre nicht nur ganz unpraktikabel, sie würde in der Regel auch nicht der Interessenlage der Eltern gerecht (vgl. wiederum BGH, Urteil vom 28.06.1988 - VI ZR 288/87 -, NJW 1988, 2946, 2947). Dementsprechend wird man in Routinefällen (
1. Fallgruppe) davon ausgehen können, dass der mit dem Kind beim Arzt erscheinende Elternteil ermächtigt ist, die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den abwesenden Elternteil mitzuerteilen, worauf der Arzt in Grenzen vertrauen darf, solange ihm keine entgegenstehenden Umstände bekannt sind (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.1988 - VI ZR 288/87 -, NJW 1988, 2946, 2947; Urteil vom 15.02.2000 - VI ZR 48/99 -, NJW 2000, 1784, 1785; Urteil vom 15.06.2010 - VI ZR 204/09 -, NJW 2010, 2430, 2431).
63 In anderen Fällen, in denen es um ärztliche Eingriffe schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken geht (
2. Fallgruppe), wird sich der Arzt jedoch darüber hinaus vergewissern müssen, ob der erschienene Elternteil die beschriebene Ermächtigung des anderen hat und wie weit diese reicht; er wird aber, solange dem nichts entgegensteht, auf eine wahrheitsgemäße Auskunft des erschienenen Elternteils vertrauen dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.1988 - VI ZR 288/87 -, NJW 1988, 2946, 2947; Urteil vom 15.06.2010 - VI ZR 204/09 -, NJW 2010, 2430, 2431).
64 Geht es allerdings um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden sind (
3. Fallgruppe), dann liegt eine Ermächtigung des einen Elternteils zur Einwilligung in ärztliche Eingriffe bei dem Kind durch den anderen nicht von vornherein nahe. Sie folgt weder aus einer üblichen Funktionsteilung zwischen den Eltern bei der Wahrnehmung der Personensorge, noch kann sich der Arzt, auch wenn er keinen Anhalt für Differenzen zwischen den Eltern des Kindes über die anzustrebende Behandlung hat, darauf verlassen, der ihm gegenüber auftretende Elternteil habe freie Hand, solche schwierigen Entscheidungen allein zu treffen. Ein Anschein spricht dafür nicht. Eine andere rechtliche Beurteilung würde die Berechtigung und Verpflichtung des anderen Elternteiles, die Personensorge für das Kind gerade in besonders wichtigen Angelegenheiten mit wahrzunehmen, auch unterlaufen. Ihm muss die Möglichkeit gegeben werden, darauf Einfluss zu nehmen, wie die Entscheidung für die ärztliche Behandlung des Kindes ausfällt. Deshalb muss sich der Arzt in einem solchen Fall die Gewissheit verschaffen, dass der nicht erschienene Elternteil mit der vorgesehenen Behandlung des Kindes einverstanden ist (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.1988 - VI ZR 288/87 -, NJW 1988, 2946, 2947; Urteil vom 15.06.2010 - VI ZR 204/09 -, NJW 2010, 2430, 2431).
65 Die hier in Rede stehende Operation fällt in die zweite der beschriebenen Kategorien (ärztliche Eingriffe schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken), da es sich nicht um einen bloßen „Routinefall“ im Sinne der obigen Abgrenzung handelt (vgl. als Gegenbeispiel etwa BGH, Urteil vom 15.02.2000 - VI ZR 48/99 -, NJW 2000, 1784, 1785, in dem es um die damals bereits seit langem von der Ständigen Impfkommission des Bundesgesundheitsamtes (STIKO) empfohlene Schluckimpfung gegen Kinderlähmung ging). Andere Beispiele für derartige „banale Routineeingriffe“ sind etwa Blutentnahmen oder einfache zahnmedizinische Eingriffe (vgl. Nebendahl, MedR 2009, 197, 203).
66 Dies hat zur Folge, dass sich der Beklagte hier hätte vergewissern müssen, ob der Vater des Klägers die beschriebene Ermächtigung der Mutter hat und wie weit diese reicht.
67 Dies hat er jedoch nicht getan. Bei ihrer Vernehmung als Zeugin hat die Mutter (die Zeugin C) u. a. ausgeführt, sie habe dem Beklagten im Rahmen eines Telefonats gesagt, dass keine Operation vorgenommen werden solle (S. 4 des Protokolls vom 6. Juli 2017, Bl. 366 d. A.). Auch aus der informatorischen Anhörung des Beklagten ergibt sich kein anderes Ergebnis. Dieser hat angegeben, dass der Kläger das erste Mal mit seinem Vater bei ihm in der Praxis gewesen sei. Bei dem zweiten Gespräch sei die Mutter nicht dabei gewesen (S. 2 des Protokolls vom 12. Oktober 2017, Bl. 383 d. A.). Am Operationstag sei der Kläger erneut aufgeklärt worden; der Vater sei dabei anwesend gewesen. Um die Einwilligung der Mutter habe er - der Beklagte - sich nicht bemüht, da die Eheleute nicht geschieden gewesen seien und ihm (dem Beklagten) die Einwilligung des einen Elternteils gereicht habe (S. 3 des Protokolls vom 12. Oktober 2017, Bl. 384 d. A.).
68 Da ein unterzeichnetes Einwilligungsformular sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs darstellt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28.01.2014 - VI ZR 143/13 -, NJW 2014, 1527, 1528; Senat, Urteil vom 20.02.2018 - 8 U 78/16 -, VersR 2019, 366), spricht auch der Umstand, dass dieses nur von dem Vater des Klägers unterzeichnet worden ist, indiziell gegen eine Aufklärung und Einwilligung der Mutter.
69 Da die Mutter in die Operation nicht eingewilligt hat, war der Eingriff mithin rechtswidrig.
70 Daran ändert auch der von dem Beklagten bereits im ersten Rechtszug erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung nichts.
71 Hier fehlt es nämlich hinsichtlich der Mutter schlicht an deren Einwilligung, so dass der Einwand der hypothetischen Einwilligung im Falle einer unzureichenden Aufklärung (vgl. zur Frage der hypothetischen Einwilligung der Eltern in einem derartigen Fall etwa BGH, Urteil vom 16.04.1991 - VI ZR 176/90 -, NJW 1991, 2344, 2345) nicht durchzugreifen vermag.
72 Ob auch die Risikoaufklärung zu beanstanden ist, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.
73 Es fehlt auch nicht etwa an einem Verschulden des Beklagten. Dieser durfte sich nicht allein auf die Einwilligung des Vaters verlassen (allgemein zur Frage des Verschulden in derartigen Fällen etwa Winkhart/Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rdnr. A 1790, A 2209; Wölk, MedR 2001, 82).
74 b. Ein Behandlungsfehler liegt demgegenüber nicht vor. In tatsächlicher Hinsicht ist der Senat insoweit gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellung des Landgerichts gebunden, dass für die Operation eine zumindest relative Indikation bestand und diese auch nicht behandlungsfehlerhaft vorgenommen worden ist.
75 c. Nach alledem steht dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu.
76 Die Höhe des Schmerzensgeldes muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgebenden Umstände festgesetzt werden. Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (s. etwa OLG München, Urteil vom 29.06.2007 - 10 U 4379/01 -, juris). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (vgl. Senat, Urteil vom 31.01.2017 - 8 U 155/16 -, GesR 2018, 264; OLG München, Urteil vom 29.06.2007 - 10 U 4379/01 -, juris). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (s. OLG München, Urteil vom 29.06.2007 - 10 U 4379/01 -, juris).
77 Nach diesen Maßstäben ist derzeit nur der Ausspruch möglich, dass der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes dem Grunde nach gerechtfertigt ist.
78 d. Zur Höhe ist die Sache bezüglich des Schmerzensgeldbegehrens noch nicht entscheidungsreif.
79 Es ist vollkommen unklar, welchen weiteren schulischen/beruflichen Weg der Kläger nach Abfassung der Klageschrift genommen hat.
80 Ebenso ist bislang unklar, ob es sich bei dem von dem Kläger beklagten Folgen der Operation (etwa Depressionen, Sexualleben nicht mehr möglich) um einen weiterhin anhaltenden Dauerzustand handelt.
81 Ebenfalls offen ist, ob auch der Antrag zu 2 Erfolg haben wird. Eine Schmerzensgeldrente kommt neben einem Kapitalbetrag in der Regel nur bei schwersten Dauerschäden in Betracht, unter denen der Verletzte immer wieder neu leidet (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.1994 - VI ZR 44/93 -, NJW 1994, 1592, 1594). Ob dies hier der Fall ist, hängt u. a. davon ab, ob es sich bei den Folgen der Operation um einen weiterhin anhaltenden Dauerzustand handelt (s. o.).
82 2. Die Feststellungsanträge zu 3 und zu 4 sind demgegenüber zulässig und begründet, da Spätschäden derzeit nicht sicher ausgeschlossen werden können. Der Beklagte hat haftungsrechtlich relevant in ein deliktsrechtlich absolut geschütztes Rechtsgut des Klägers eingegriffen, was zu materiellen Schäden geführt hat. Es erscheint überdies zumindest möglich, dass der Kläger auf Grund der verbleibenden eingriffsbedingten Schäden in der Zukunft immaterielle Beeinträchtigungen erleiden wird, die durch das noch zu bemessende Schmerzensgeld nicht erfasst werden. Dass der Kläger aus dem gleichen Grund zukünftig materielle Schäden erleiden kann, liegt auf der Hand.
83 Soweit der diesbezügliche Ausspruch des Senats von den Feststellungsanträgen des Klägers abweicht, liegt darin keine Teilabweisung, sondern nur eine redaktionelle Präzisierung.
84 3. Der Antrag auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist ebenfalls dem Grunde nach begründet.
85 4. Vor diesem Hintergrund ist die Sache hier auf den entsprechenden Hilfsantrag des Klägers für den Streit über den Betrag des Schmerzensgeldanspruchs nebst des diesbezüglichen Zinsbegehrens, die mit dem Antrag zu 2 begehrte Schmerzensgeldrente, die Höhe des Anspruchs auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie über die Kosten an das Landgericht zurückzuverweisen.
86 Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO kommt zwar nur in Betracht, wenn bei einem nach Grund und Betrag streitigen Anspruch die Fragen zur Höhe des Anspruchs in erster Instanz ungeprüft geblieben sind, also das Urteil erster Instanz sich gewissermaßen einen Teil des Prozessstoffs vorbehalten hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 05.11.1997 - XII ZR 290/95 -, NJW 1998, 613, 614). Das ist etwa der Fall, wenn die erste Instanz die Klage abgewiesen hat, weil nach ihrer Ansicht die Beklagte zum Ersatz eines Schadens überhaupt nicht verpflichtet ist, das Berufungsgericht das Bestehen einer solchen Verpflichtung aber annimmt (vgl. wiederum BGH, Urteil vom 05.11.1997 - XII ZR 290/95 -, NJW 1998, 613, 614). So liegt es jedoch hier.
87 Zwar mag gegen eine Zurückverweisung der Sache in dem tenorierten Umfange sprechen, dass diese zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt, was grundsätzlich nicht im Interesse der Parteien liegt. Diesem Aspekt kommt hier angesichts der bisherigen Dauer des Rechtsstreits auch ein beträchtliches Gewicht zu. Für eine Ausübung des dem Senat durch § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO eingeräumten Ermessens im Sinne einer Zurückverweisung in Bezug auf das Betragsverfahren spricht jedoch, dass den Parteien gerade im Arzthaftungsprozess ein Verzicht auf eine zweite Tatsacheninstanz nicht zumutbar ist (vgl. Senat, Urteil vom 30.07.2013 - 8 U 165/12 -, juris; Urteil vom 22.03.2016 - 8 U 48/14, Entscheidungsumdruck, S. 27; Urteil vom 11.07.2017 - 8 U 150/16 -, juris; KG, Urteil vom 14.06.2007 - 20 U 5/06 -, NJW-RR 2008, 371, 373; in diesem Sinne für Fälle außerhalb des Arzthaftungsrechts etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.03.2013 - I-21 U 140/12 -, NZBau 2013, 768, 772; OLG Hamm, Urteil vom 14.01.2014 - I-24 U 186/12 -, juris; OLG Saarbrücken, Urteil vom 27.10.2016 - 4 U 46/15 -, juris). Die Entscheidungsreife lässt sich hier überdies im Berufungsrechtszug mit zumutbarem Aufwand nicht herbeiführen. Dem Interesse an einer Prozessbeschleunigung schließlich ist durch das Erfordernis eines Antrags einer Partei Rechnung getragen (vgl. Senat, Urteil vom 30.07.2013 - 8 U 165/12 -, juris). Es erscheint daher geboten, die Klärung der Höhe der Ansprüche nicht erst in der zweiten Instanz beginnen zu lassen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 16.11.2016 - 5 U 108/16 -, juris).
88 5. Die Kostenentscheidung ist dem Landgericht vorzubehalten.
89 6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 708 Nr. 10 Satz 1 ZPO. Eine Abwendungsbefugnis ist nicht auszusprechen, da das Urteil des Senats keinen vollstreckbaren Inhalt hat.
90 7. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.