Selbst wenn keine Gründe für eine Nichtigkeit des Ehevertrages vorliegen, kann es dennoch sein, dass er nicht vollständig Bestand hat und es zu einer
Anpassung durch das Familienrecht kommt. Das kommt dann in Betracht,
wenn die Berufung auf den wirksam geschlossenen Ehevertrag durch den Begünstigten Ehegatten zum
Zeitpunkt der Trennung/Scheidung rechtsmissbräuchlich ist, weil sie
Treu und Glauben verstößt
23 (sog. Ausübungskontrolle).
Der BGH nimmt das an, wenn sich aus dem vereinbarten Ausschluss der Schei- dungsfolgen zum
Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe eine evident einseitige und nach Treu und Glauben unzumutbare Lastenverteilung ergibt, sodass die Berufung des anderen Ehegatten auf den Ehevertrag, trotz Berücksichtigung von dessen Interessen und dessen Vertrauens auf den Bestand des Ehevertrages, rechts- missbräuchlich erscheint.
24Dazu der Bundesgerichtshof:
"Soweit ein Ehevertrag der Inhaltskontrolle Stand hält und auch nicht aus sonstigen Gründen sittenwidrig ist, muss der Richter - im Rahmen einer Ausübungskontrolle - prüfen, ob und inwieweit ein Ehegatte die ihm durch den Vertrag eingeräumte Rechtsmacht missbraucht, wenn er sich im Scheidungsfall gegenüber einer vom anderen Ehegatten begehrten gesetzlichen Scheidungsfolge darauf beruft, dass diese Rechtsfolge durch den Vertrag wirksam abbedungen sei (§ 242 BGB). Dafür sind nicht nur die Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend. Entscheidend ist vielmehr, ob sich nunmehr - im Zeitpunkt des Scheiterns der Lebensge- meinschaft - aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige Lastenverteilung ergibt, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten auch bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede sowie bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint.” 25Eine In der Praxis häufige Fallgestaltung diese Art ist, dass die
gemeinsame Gestaltung der Ehe von der dem Ehevertrag ursprünglich zugrunde gelegten Lebensplanung wesentlich abweicht und dadurch dem durch den Ehevertrag belasteten Ehegatten
ehebedingte Nachteile entstanden sind, die durch den Ehevertrag
nicht angemessen kompensiert werden.
26BeispielEin verlobtes Paar schließt kurz vor der Hochzeit einen Ehevertrag. Da beide Ehegatten keine Kinder und bei ähnlichen Gehältern weiterhin berufstätig sein möchten, verzichten sie für den Fall einer Scheidung gegenseitig auf nacheheliche Unterhaltsansprüche, einen Versorgungsausgleich sowie einen Zugewinnausgleich. Einige Jahre später wird die Ehefrau jedoch wider Erwarten schwanger und gibt nach der Geburt von Zwillingen ihre Berufstätigkeit zum Zwecke der Kinderbetreuung auf. Der Ehevertrag gerät in Vergessenheit. Nach 25 Jahren möchte sich das Ehepaar jedoch trennen und scheiden.
In diesem Fall haben die Ehegatten eine völlig andere Rollenverteilung praktiziert, als sie beim Abschluss des Ehevertrages annahmen. Hierdurch sind der Ehefrau Nachteile entstanden. So hat sie über viele Jahre kein Einkommen und keine Rentenanwartschaften erwirtschaftet. Daher kommt eine gerichtliche Anpassung des Ehevertrages zugunsten der Ehefrau in Betracht.