7. Rechtsprechungskriterien zu dieser Problematik

Der BGH hat in einer Entscheidung von 2010354 präzisiert, welche Maßstäbe gelten, um derartige Streitigkeiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entscheiden:

  • Die Entscheidung, wem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, hat sich am Kindeswohl zu orientieren.355
  • Dabei sind folgende Kriterien zu berücksichtigen:
  1. Die Erziehungseignung der Eltern
  2. Die Bindungen des Kindes (insbesondere zu den Eltern, aber auch zu Geschwistern, Großeltern, Freunden etc.)
  3. Die Fördermöglichkeiten der Eltern
  4. Der Kontinuitätsgrundsatz (der Verbleib in der gewohnten Umgebung entspricht grundsätzlich mehr dem Kindeswohl)
  5. Der Wille des Kindes.356

Diese Kriterien sind nicht alle gleichzeitig wichtig, sondern je nach Fall mehr oder weniger entscheidend für die Beurteilung, die der Richter vornehmen muss.357

Da dem Familiengericht keine Möglichkeit zur Verfügung steht, die allgemeine Handlungsfreiheit eines Elternteils einzuschränken und ihn an einem Umzug zu hindern, muss tatsächlicher Ausgangspunkt der Entscheidung sein, dass der Elternteil seinen Umzugs- oder Auswanderungswunsch in die Tat umsetzt. Die Motive des Elternteils für seinen Umzugs-/Auswanderungsentschluss stehen grundsätzlich nicht zur Überprüfung des Familiengerichts. Die Frage, ob der Elternteil triftige Gründe hat, umzuziehen/auszuwandern, findet nur bei der Beurteilung des Kindeswohls Berücksichtigung. Verfolgt der Elternteil mit der Übersiedlung etwa (auch) den Zweck, den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil zu vereiteln, steht die Bindungstoleranz des betreuenden Elternteils und somit seine Erziehungseignung in Frage. Wenn mit der Auswanderung für das Kind schädliche Folgen verbunden sind, ist wiederum die Erziehungs-eignung des betreuenden Elternteils in Zweifel zu ziehen und kann sogar ein Entzug des Sorgerechts angebracht sein.358

Letztendlich muss also das zuständige Familiengericht im konkreten Einzelfall unter Heranziehung der oben genannten Kriterien entscheiden, was aus Sicht seiner Sicht besser für das Kind ist: Ein Umzug mit dem einen Elternteil oder der Lebensmittelpunkt beim anderen Elternteil. Hat das Kind eine viel stärkere Bindung zu dem Elternteil, der den Umzugs-/Auswanderungswunsch vollziehen möchte, kann dies dafür sprechen, diesem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuzusprechen. Besteht jedoch zu beiden Elternteilen eine gute Bindung, ist die Entscheidung schwieriger. Praktizieren die Eltern sogar ein Wechselmodell, kann insbesondere der Kontinuitätsgrundsatz stark dafür sprechen, dass es dem Kindeswohl mehr entspricht, das Kind in seinem gewohnten Umfeld zu belassen. Es kommt jedoch immer auf den Einzelfall an.