BGH, Urteil vom 15. Dezember 2004
– XII ZR 121/03 Rn. 11 ff.

Fußnote 262.

Anmerkung zu:

BGH 12. Zivilsenat, Urteil vom 15.12.2004 - XII ZR 121/03

Autor:

Mallory Völker, RiAG

Erscheinungsdatum:

22.03.2005


Quelle:

 

Normen:

§ 1610 BGB, § 1570 BGB, Art 6 GG, § 1577 bgb, § 1606 BGB ... mehr

Fundstelle:

jurisPR-FamR 6/2005 Anm. 5

Herausgeber:

Dr. Peter Friederici, Vors. RiOLG

Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht

Zitiervorschlag:

Völker, jurisPR-FamR 6/2005 Anm. 5



Geltung des Halbteilungsgrundsatzes und Anrechnung überobligationsmäßig erzielten Einkommens im Rahmen des Unterhaltsanspruchs nach § 1615l Abs. 2 BGB


Leitsätze
1. Das Maß des einer nicht verheirateten Mutter nach § 1615l Abs. 2 BGB zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach ihrer Lebensstellung (§§ 1615l Abs. 3 Satz 1, 1610 Abs. 1 BGB). Diese richtet sich grundsätzlich nach dem Einkommen, das die Mutter ohne die Geburt ihres Kindes zur Verfügung hätte. Dabei wird jedoch die Lebensstellung der Mutter und damit ihr Unterhaltsbedarf durch den Halbteilungsgrundsatz begrenzt.
2. Ob und in welchem Umfang die nach § 1616l Abs. 2 BGB unterhaltsberechtigte Mutter sich ein überobligationsmäßig erzieltes Einkommen auf ihren Unterhaltsbedarf anrechnen lassen muss, ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 1577 Abs. 2 BGB. Danach verbietet sich eine pauschale Beurteilung; die Anrechnung ist vielmehr von den besonderen Umständen des Einzelfalles abhängig (Fortführung des Senatsurteils vom 29. November 2000 - XII ZR 212/98 - FamRZ 2001, 350).

A.   Problemstellung
1. Der Unterhaltsbedarf der nach § 1615l Abs. 2 BGB unterhaltsberechtigten Mutter wird nach oben durch den Halbteilungsgrundsatz begrenzt.
2. Überobligationsmäßig von der Mutter erzieltes Einkommen ist analog § 1577 Abs. 2 BGB auf ihren Unterhaltsbedarf anzurechnen.

B.   Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
1. Das OLG sei zu Recht davon ausgegangen, dass sich ein Unterhaltsanspruch allenfalls in Höhe der hälftigen Differenz der beiderseitigen Einkommen der Parteien ergeben könne. Zwar sei bei der Ermittlung des Bedarfs im Rahmen eines Unterhaltsanspruchs nach § 1615l Abs. 2 BGB regelmäßig auf das Einkommen der Mutter abzustellen, das sie ohne die Geburt des Kindes zur Verfügung hätte. Denn § 1615l Abs. 3 Satz 1 BGB verweise (auch) auf § 1610 Abs. 1 BGB, der für die Bemessung des Unterhalts die Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten für maßgebend erklärt. Allerdings dürfe der Mutter - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - aus eigenen Einkünften und den Unterhaltszahlungen des Vaters nicht mehr zur Verfügung stehen, als dem unterhaltspflichtigen Vater nach Abzug des gezahlten Unterhalts verbliebe. Dieser Halbteilungsgrundsatz, der im Rahmen des stärker ausgestalteten (nachehelichen) Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB gelte, müsse erst recht auf den (schwächeren) Unterhaltsanspruch der nicht verheirateten Mutter Anwendung finden. Dies gelte einerseits (wenn und) weil beide Ansprüche im Wesentlichen die gleiche Zielrichtung haben: Der Mutter soll jeweils ermöglicht werden, während der ersten Lebensjahre des Kindes dieses selbst zu pflegen und zu erziehen. Andererseits sei es gerechtfertigt, dass die Mutter durch diese Handhabung häufig weniger Mittel als der Vater des Kindes haben werde, wegen der Begrenzung durch die Halbteilung aber niemals mehr. Denn § 1615l Abs. 2 BGB gewährleiste anders als § 1570 BGB keinen Anspruch auf Teilhabe an einer höheren Lebensstellung des Vaters. Dieser folge nämlich nur aus der fortwirkenden ehelichen Solidarität.
2. Der BGH hat die Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, weil der pauschale Ansatz eines Betreuungsbonusses rechtsfehlerhaft sei und sich die Frage der Anrechnung von aus unzumutbarer Tätigkeit erzielten Einkünften analog § 1577 Abs. 2 BGB beurteile. Denn gesetzlich sei diese Frage nicht geregelt. Dies sei versehentlich unterblieben, denn Art. 6 Abs. 1 GG lasse eine Schlechterstellung der geschiedenen Mutter nicht zu und umgekehrt sei nach Art. 6 Abs. 4 und 5 GG auch die nicht verheiratete Mutter jedenfalls insoweit gleichzustellen. Daher sei eine analoge Anwendung des § 1577 Abs. 2 BGB geboten. Den Rechtsgedanken dieser Vorschrift habe der BGH schon beim Verwandtenunterhalt, auf den § 1615l Abs. 3 Satz 1 BGB verweise, herangezogen (BGH, Urt. v. 25.01.1995 - XII ZR 240/93 - FamRZ 1995, 475, 477 f.). Die bei Anwendung von § 1577 Abs. 2 BGB nach ständiger Rechtsprechung des BGH erforderliche Einzelfallabwägung lasse das oberlandesgerichtliche Urteil indes vermissen.

C.   Kontext der Entscheidung
1. Im Rahmen der konkreten Anwendung des § 1577 Abs. 2 bezieht sich der BGH auf seine Entscheidung vom 29.11.2000 (XII ZR 212/98 - FamRZ 2001, 350, 352) und fordert eine Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Dabei sei maßgebend:
- konkrete Ausgestaltung der Betreuung während der Arbeitszeit der Mutter;
- ihr dabei zur Verfügung stehende Hilfen, ggf. anderweitige Beaufsichtigung;
- Anfall zusätzlicher Betreuungskosten hierfür;
- Vereinbarkeit der Kindesbetreuung mit den konkreten Arbeitszeiten unter Berücksichtigung erforderlicher Fahrzeiten;
- Aufnahme der Erwerbstätigkeit aus freien Stücken oder durch wirtschaftliche Notlage veranlasst (so zum Betreuungsunterhalt BGH, Urt. v. 21.01.1998 - XII ZR 117/96 - FamRZ 1998, 1501, 1502), denn freiwillige Ausübung kann ein maßgebendes Indiz für die Zumutbarkeit im konkreten Einzelfall sein (Urt. v. 23.09.1981 - IVb ZR 600/80 - FamRZ 1981, 1159, 1161).
2. Die Entscheidung schafft weitere - begrüßenswerte - Klarheit im Dickicht der Fragen, die sich um § 1615l Abs. 2 BGB ranken:
In vorliegender Entscheidung äußert sich der BGH zur Ebene des Bedarfs (Halbteilung als Obergrenze) und der Bedürftigkeit (§ 1577 Abs. 2 BGB gilt analog) des Unterhaltsberechtigten.
Mit Urt. v. 01.12.2004 (XII ZR 3/03) hat sich der BGH zur Leistungsfähigkeit verhalten und einen spezifischen Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen postuliert, der grundsätzlich hälftig zwischen dem notwendigen und dem angemessenen Selbstbehalt liege (und damit derzeit 920 € beträgt).
Mit Urt. v. 15.12.2004 (XII ZR 26/03) hat der XII. Senat dies nochmals bestätigt und zugleich seine Rechtsprechung zum Haftungsverhältnis mehrerer Unterhaltsschuldner fortentwickelt: mehrere nach § 1615l BGB unterhaltspflichtige Väter haften wegen §§ 1615l Abs. 3 Satz 1, 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig.
Im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1615l Abs. 2 BGB ist geklärt, dass es nicht mehr darauf ankommt, ob die Kindesbetreuung die alleinige Ursache für die Nichterwerbstätigkeit ist (BGH, Urt. v. 17.11.2004 - XII ZR 183/02).
Keinen Anlass zur Stellungnahme hatte der BGH bislang zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung des Anspruchs nach § 1615l Abs. 2 BGB auf drei Jahre (siehe dazu verneinend die Vorlagen an das BVerfG durch das KG, Beschl. v. 16.09.2004 - 16 UF 6/04 - FamRZ 2004, 1895 f., und durch das OLG Hamm, Beschl. v. 16.08.2004 - 5 UF 262/04 - FamRZ 2004, 1893 f.; a.A. OLG Schleswig, Urt. v. 29.12.2003 - 15 UF 198/02 - FamRZ 2004, 975; OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.09.2003 - 2 UF 6/03 - FamRZ 2004, 974; OLG Düsseldorf, Urt. v. 25.06.2004 - 3 UF 195/03 - OLGR 2004, 462 ff.).

D.   Auswirkungen für die Praxis
Vor dem Hintergrund der analogen Anwendbarkeit des § 1577 Abs. 2 BGB wird es Sache des Anwalts der Mutter sein detailliert anhand des obigen Kriterienkataloges darzulegen und notfalls zu beweisen, dass die tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit unzumutbar ist (AnwK-​BGB/Schürmann, § 1577 Rn. 87 m.w.N.). Denn für seine Bedürftigkeit trägt der Unterhaltsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Urt. v. 24.10.1979 - IV ZR 171/78 - FamRZ 1980, 126, 128). Die Tatsache, dass eine unterhaltsberechtigte Mutter neben der Betreuung kleiner Kinder arbeitet, kann aber eine Umkehr dieser Beweislast zur Folge haben, wenn die Erwerbstätigkeit nur aus wirtschaftlicher Not heraus aufgenommen wurde (BGH, Urt. v. 21.01.1998 - XII ZR 117/96 - FamRZ 1998, 1501, 1502).
Vorsichtshalber sollte daher der Anwalt des unterhaltspflichtigen Vaters ebenso substantiiert darlegen, welche Umstände für die Zumutbarkeit der Tätigkeit sprechen und entsprechenden Beweis antreten.

E.   Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In Höhe einer etwaigen Entgeltfortzahlung aufgrund des MuSchG entfällt die Bedürftigkeit einer nach § 1615l Abs. 2 BGB unterhaltsberechtigten Mutter.

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