Gericht: | OLG Karlsruhe Senat für Familiensachen |
Entscheidungsdatum: | 27.12.1995 |
Aktenzeichen: | 20 WF 15/95 |
ECLI: | ECLI:DE:OLGKARL:1995:1227.20WF15.95.0A |
Dokumenttyp: | Beschluss |
Quelle: | |
Norm: | § 1573 Abs 4 BGB |
Zitiervorschlag: | OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. Dezember 1995 – 20 WF 15/95 –, juris |
Unterhaltsanspruch des in der ehemaligen DDR geschiedenen Ehegatten wegen krankheitsbedingter Unterhaltsbedürftigkeit: Beurteilung der Nachhaltigkeit der Unterhaltssicherung
Leitsatz Im Falle einer Ehescheidung in der damaligen DDR sind für die Nachhaltigkeit der Unterhaltssicherung die Verhältnisse zum jeweiligen Einsatzzeitpunkt auch dann maßgebend, wenn das Recht der Bundesrepublik erst danach durch Übersiedlung des in Anspruch genommenen Ehegatten anwendbar geworden ist.
Fundstellen
EzFamR aktuell 1996, 77-78 (red. Leitsatz und Gründe)
FamRZ 1996, 948-949 (Leitsatz und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend AG Baden-Baden, 9. November 1995, 10 F 253/95
Diese Entscheidung wird zitiert
KommentareStaudinger, BGB● Voppel, LPartG § 16 Nachpartnerschaftlicher Unterhalt; III. Unterhaltstatbestände; 3. Die Tatbestände im einzelnen; f) Unterhalt aus Billigkeitsgründen 2010
SonstigesHorndasch, AnwF Familienrecht● Dr. Peter Horndasch, § 4 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; IX. Unterhalt aus Billigkeitsgründen, § 1576 BGB
Viefhues et al., Das familienrechtliche Mandat - Unterhaltsrecht● Dr. K.-Peter Horndasch, § 3 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; IX. Unterhalt aus Billigkeitsgründen, § 1576 BGB
Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengerichts - B. vom 9.11.1995 (10 F 253/95) wird zurückgewiesen.
Gründe I.
1 Die am 10.12.1960 in der ehemaligen DDR geschlossene Ehe der Parteien wurde durch Urteil des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt vom 9.5.1986 (BFB 93/86) geschieden. Nachehelicher Unterhalt wurde nicht geltend gemacht, da beide Parteien damals berufstätig waren und aus ihren Erwerbseinkünften ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten.
2 Der Antragsgegner ist im Jahr 1989 - vor der Wiedervereinigung - in die alten Bundesländer übergesiedelt, die Antragstellerin ist in der ehemaligen DDR geblieben.
3 Die Antragstellerin begehrt Prozeßkostenhilfe für eine Auskunftsklage zur Vorbereitung einer Klage auf nachehelichen Unterhalt.
4 Die nunmehr 53 Jahre alte Antragstellerin ist seit 1991 arbeitslos und bezieht Krankengeld. Mit dem Vortrag, sie sei krankheitsbedingt wegen einer degenerativen Veränderung der Lendenwirbelsäule zu einer Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage, will sie den Antragsgegner auf Unterhaltszahlungen in Anspruch nehmen (§§ 1572, 1573, 1576 BGB). Zur Vorbereitung ihrer (beabsichtigten) Unterhaltsklage begehrt sie vom Antragsgegner Auskunft über seine Einkommensverhältnisse.
5 Der Antragsgegner tritt der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für die Antragstellerin entgegen. Er ist der Ansicht, daß er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet sei, da ein Unterhaltsanspruch gegen ihn unter keinem Gesichtspunkt in Betracht komme. Im übrigen sei er im Hinblick auf seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner zweiten Ehefrau und seinem minderjährigen Kind aus dieser neuen Ehe sowie wegen erheblicher Verbindlichkeiten nicht leistungsfähig.
6 Durch Beschluß vom 9.11.1995 hat das Amtsgericht den Prozeßkostenhilfeantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Antragstellerin unter Zugrundelegung ihres eigenen Vortrags nach der Scheidung bis 1991 in der Lage gewesen sei, für ihren Unterhaltsbedarf selbst aufzukommen; eine Unterhaltsbedürftigkeit habe danach zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ehescheidung nicht vorgelegen. Da ein Unterhaltsanspruch somit ausgeschlossen sei, bestehe auch keine Auskunftspflicht des Antragsgegners.
7 Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzziel auf Prozeßkostenhilfebewilligung weiter.
II.
8 Die zulässige (§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg (§ 114 ZPO).
9 Ein Auskunftsanspruch besteht nicht, wenn die Auskunft einen etwaigen Unterhaltsanspruch schlechthin nicht beeinflussen kann (BGH FamRZ 1982, 996; 1994, 558). Dies ist hier der Fall.
10 Der BGH hat zwar in seinem Grundsatzurteil vom 10.11.1993 (FamRZ 1994, 160 = NJW 1994, 382) entschieden, daß nachehelicher Unterhalt gemäß den Vorschriften des BGB gefordert werden kann, wenn die Ehe vor dem Wirksamwerden des Beitritts (3.10.1990) durch ein Gericht der DDR geschieden worden und der unterhaltspflichtige Ehegatte vor diesem Zeitpunkt in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist. In diesem - hier vorliegenden - Fall richtet sich der Unterhaltsanspruch also nicht nach dem für die Scheidung maßgeblichen DDR-Recht (vgl. § 29 FGB-DDR), sondern nach den §§ 1569 ff. BGB (ausführlich dazu Brudermüller, FamRZ 1994, 1022 ff. m. w. N. zur Streitfrage).
11 Die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach den danach maßgeblichen Vorschriften des BGB liegen im vorliegenden Fall aber unter keinem Gesichtspunkt vor.
12 a) Für einen Unterhaltsanspruch wegen krankheitsbedingter Unterhaltsbedürftigkeit nach § 1572 BGB ist Voraussetzung, daß die Krankheit bereits zu einem der in dieser Vorschrift genannten Einsatzzeitpunkte vorlag. Dies behauptet die Antragstellerin selbst nicht. Nach ihrem eigenen Vortrag ist die (unterstellte) Krankheit erst Jahre nach der Scheidung aufgetreten. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB würde im übrigen selbst dann nicht bestehen, wenn die Ursachen der Erkrankung, etwa bereits während der Ehe, gesetzt worden wären.
13 b) Ein Anspruch nach § 1573 Abs. 1 BGB scheidet aus, da die Antragstellerin vor und nach der Scheidung voll erwerbstätig war. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist aber, daß der geschiedene Ehegatte zum Zeitpunkt der Scheidung nicht oder nicht voll erwerbstätig war.
14 Am Einsatzzeitpunkt Scheidung ändert sich auch nichts dadurch, daß das Unterhaltsrechtsverhältnis zunächst dem Recht der DDR unterlag. Die Anwendbarkeit bundesrepublikanischen Rechts infolge der Übersiedlung des Antragsgegners im Jahr 1989 bedeutet - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - nicht, daß die Nachhaltigkeit (vgl. § 1573 Abs. 4 ZPO) erst zu diesem Zeitpunkt zu prüfen wäre; vielmehr gilt auch in diesem Fall die Scheidung (bzw. der Zeitpunkt des § 1573 Abs. 3 BGB) als Einsatzzeitpunkt. Die einzige Besonderheit besteht darin, daß Unterhalt erst ab Übersiedlung verlangt werden kann.
15 Im vorliegenden Fall scheitert ein etwaiger Unterhaltsanspruch wegen fehlender Nachhaltigkeit i.S. des § 1573 BGB also sowohl aufgrund nachträglicher Prognose als auch aus der Rückschau angesichts des Zeitraums von über vier Jahren.
16 c) Scheitert ein Unterhaltsanspruch wegen Krankheit nur am Einsatzzeitpunkt - wie es hier in Betracht kommt - , so kann gleichwohl ein Unterhaltsanspruch nach § 1576 BGB gegeben sein (vgl. BGH FamRZ 1990, 496). Auch die Ehebedingtheit der Unterhaltsbedürftigkeit ist nicht Voraussetzung (vgl. BGH FamRZ 1983, 800, 801). Die Anwendung dieser "positiven Härteklausel" (BT- Drucksache 7/4361 S. 17) erfordert indes, daß der maßgebliche Grund im Sinne des § 1576 BGB zumindest in einem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit den ehelichen Lebensverhältnissen steht (vgl. Johannsen/Henrich/Voelskow, Eherecht, 2. Aufl.,§ 1576 Rdnr. 1; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 3. Aufl., Teil IV, Rdnrn. 374, 378). Eine zeitliche Nähe zur Scheidung ist hier nicht mehr gegeben. Die Antragstellerin trägt auch keine Umstände vor, die aus Billigkeitsgründen einen Unterhaltsanspruch gegen den Antragsgegner rechtfertigen könnten (vgl. dazu BGH FamRZ 1983, 800; 1984, 361 und 769).
17 Bei der Billigkeitsprüfung ist unter dem Gesichtspunkt, daß die Belange beider Ehegatten gegeneinander abzuwägen sind, auch zu berücksichtigen, daß der bei der Scheidung mit einem Unterhaltsanspruch nicht belastete Antragsgegner mit fortschreitender Dauer immer weniger mit seiner Inanspruchnahme wegen sog. nachwirkender ehelicher Solidarität rechnen mußte. Die Umstände des vorliegenden Falles geben auch keinen Anlaß, zur Vermeidung unbilliger Härten eine mögliche Regelungslücke zu schlieBen, zumal auch im Falle des Fortbestandes der DDR die Antragstellerin keinen Unterhalt gegen ihren geschiedenen Ehemann mehr hätte geltend machen können und gegebenenfalls - wie auch immer gearteter - staatlicher Unterstützung bedurft hätte.
18 Eine Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren wegen Prozeßkostenhilfe erübrigt sich (§ 127 Abs. 4 ZPO)