BGH, Urteil vom 11. Mai 1983
– IVb ZR 382/81 Rn. 13.

Fußnote 205.

Gericht:

BGH 4b. Zivilsenat

Entscheidungsdatum:

11.05.1983

Rechtskraft:

ja

Aktenzeichen:

IVb ZR 382/81

Dokumenttyp:

Urteil


Quelle:

 

Norm:

§ 1576 BGB vom 14.06.1976

Zitiervorschlag:

BGH, Urteil vom 11. Mai 1983 – IVb ZR 382/81 –, juris



            Positive Billigkeitsklausel des BGB 1576

Leitsatz

            Zur Anwendung der positiven Billigkeitsklausel (§ 1576 BGB) in Fällen der Erwerbsbehinderung des geschiedenen unterhaltsbedürftigen Ehegatten durch die Betreuung von Kindern aus einer früheren Ehe.

Fundstellen
FamRZ 1983, 800-​803 (red. Leitsatz und Gründe)
MDR 1983, 1005-​1006 (red. Leitsatz und Gründe)
LM Nr 1 zu § 1576 BGB (Leitsatz 1 und Gründe)
BGHWarn 1983, Nr 150 (Leitsatz 1 und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend OLG Düsseldorf 6. Senat für Familiensachen, 28. Juli 1981, 6 UF 221/80
vorgehend AG Mülheim, 25. September 1980, 20 F 55/80
Diese Entscheidung wird zitiert
Kommentare
Erman, BGB
● Hammermann, § 1615l Unterhaltsanspruch von Mutter und Vater aus Anlass der Geburt; III. Verweis auf Recht der Verwandtschaft
● Maier/Schachtschneider, § 1570 Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes
● Maier/Schachtschneider, § 1576 Unterhalt aus Billigkeitsgründen
Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-​BGB
● Silke Kaplan, 10. Auflage 2023, § 1576 BGB
Staudinger, BGB
● Rauscher, Vorbemerkungen zu §§ 1564–1568; II. Jüngere historische Entwicklung 2018
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Sonstiges
Borth, Praxis des Unterhaltsrechts
● Borth, E. Die weiteren nachehelichen Unterhaltstatbestände gemäß §§ 1571–1576 BGB; VI. Sonstige schwerwiegende Gründe, falls die Versagung des Unterhalts grob unbillig wäre, § 1576 BGB
Ehinger/Rasch/Schwonberg/Siede, Handbuch Unterhaltsrecht
● Ehinger, 7. Unterhalt aus Billigkeitsgründen (§ 1576 BGB)
Horndasch, AnwF Familienrecht
● Dr. Peter Horndasch, § 4 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; IX. Unterhalt aus Billigkeitsgründen, § 1576 BGB
Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht
● Schneider, D. Ehegattenunterhalt; IV. Nachehelicher Unterhalt; 4. Unterhaltstatbestände; g) Unterhalt aus Billigkeitsgründen, § 1576 BGB
Viefhues et al., Das familienrechtliche Mandat - Unterhaltsrecht
● Dr. K.-​Peter Horndasch, § 3 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; IX. Unterhalt aus Billigkeitsgründen, § 1576 BGB

Tatbestand

1           Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.

2           Ihre am 17. August 1976 geschlossene Ehe ist auf den am 20. Januar 1979 rechtshängig gewordenen Antrag der Beklagten durch Urteil vom 14. Februar 1980 rechtskräftig geschieden worden. Sie ist kinderlos geblieben. Die Beklagte hat jedoch aus einer früheren Ehe, die am 21. Mai 1975 aus ihrem Verschulden geschieden wurde, zwei am 11. Februar 1965 und 26. September 1972 geborene Kinder, deren Erziehung und Betreuung ihr obliegen und die im gemeinsamen ehelichen Haushalt der Parteien gelebt haben. Der erste Ehemann zahlt für die beiden Kinder zusammen 375 DM monatlichen Unterhalt. Die im Jahre 1947 geborene Beklagte, die nicht erwerbstätig ist, erhält von ihm keinen Unterhalt.

3           Während des Scheidungsverfahrens der Parteien hatte das Amtsgericht dem Kläger im Wege der einstweiligen Anordnung die Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von 640 DM an die Beklagte aufgegeben. Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß die Beklagte nach der Rechtskraft des Scheidungsurteils keinen Unterhaltsanspruch mehr gegen ihn habe. Die Beklagte hat Widerklage erhoben und den Kläger für die Zeit nach der Scheidung auf Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 650 DM in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat der Feststellungsklage entsprochen und die Widerklage abgewiesen. Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Feststellungsklage in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Ihr Unterhaltsbegehren hat die Beklagte im Umfange eines monatlichen Betrages von 350 DM weiterverfolgt. Das Oberlandesgericht hat ihre Berufung mit dem in FamRZ 1981, 1070 veröffentlichten Urteil zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beklagte (zugelassene) Revision eingelegt, mit der sie an ihrem Unterhaltsbegehren festhält.

Entscheidungsgründe

4           Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

5           Keinem Zweifel unterliegt, daß die Beklagte aus §§ 1570 bis 1575 BGB keinen Unterhaltsanspruch herleiten kann. Insoweit hat auch die Revision keine Einwände gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhoben. Sie bekämpft vielmehr die oberlandesgerichtliche Beurteilung, daß der Beklagten auch aus § 1576 BGB kein Unterhaltsanspruch zustehe.

6           Nach dieser Vorschrift kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit und solange von ihm aus sonstigen schwerwiegenden Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die Versagung von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre.

7           1. Zur Auslegung dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß ihr Anwendungsbereich nicht von vornherein nur auf (durch die §§ 1570 bis 1575 BGB nicht geregelte) Fälle ehebedingter Bedürftigkeit zu begrenzen sei. Das schließe bei einer an der Systematik und den Grundgedanken der §§ 1569 ff. BGB orientierten Auslegung jedoch nicht aus, für bestimmte Fallgruppen dennoch einen sachlichen Zusammenhang zwischen Unterhaltsbedürftigkeit und Ehe zur Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs nach § 1576 BGB zu machen. Ein solcher Zusammenhang sei auch in den Fällen erforderlich, in denen der bedürftige Ehegatte, wie hier, nicht gemeinschaftliche Kinder zu betreuen habe und deshalb an einer Erwerbstätigkeit gehindert sei. Hier reiche die Erwerbsbehinderung durch die Kinderbetreuung allein nicht aus, um einen Unterhaltsanspruch nach § 1576 BGB zu begründen, weil sonst die in § 1570 BGB vorgesehene Abhängigkeit des Unterhaltsanspruchs von der Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes nicht zu verstehen sei. Deshalb müßten noch besondere Umstände hinzukommen, um die Versagung von Unterhalt grob unbillig erscheinen zu lassen. Dafür ließen sich keine überzeugenden Gründe finden außer solchen, die Bezug zur Ehe oder zum Verhalten des in Anspruch genommenen Ehegatten hätten. Dabei werde es vor allem um Fälle gehen, in denen sich der bedürftige Ehegatte auf einen von dem anderen Ehegatten mit zu verantwortenden - schutzwürdigen - Vertrauenstatbestand des Inhalts stützen könne, sein Unterhalt werde auch in Zukunft trotz der Unmöglichkeit einer Erwerbstätigkeit gesichert sein. Für einen solchen Vertrauenstatbestand reiche es aber nicht aus, daß der in Anspruch Genommene einen mit vorehelichen Kindern zusammenlebenden Partner geheiratet und darin eingewilligt habe, die Kinder in den ehelichen Haushalt aufzunehmen. Vielmehr sei er etwa als erfüllt anzusehen, wenn der die Kinder betreuende Ehegatte nach altem Recht (§§ 58 ff. EheG) einen Unterhaltsanspruch gehabt habe, der durch die Eheschließung mit dem nunmehr in Anspruch genommenen Ehegatten untergegangen sei. Das gleiche gelte, wenn der bedürftige Ehegatte eine vor der Eheschließung ausgeübte, mit der Kinderbetreuung zu vereinbarende Erwerbstätigkeit während der Ehe im Einvernehmen oder gar auf Wunsch des anderen Ehegatten aufgegeben habe. Solche oder gleichwertige, einen Unterhaltsanspruch auslösende Gründe ständen der Beklagten indessen nicht zur Seite. Sie stehe sich ohne einen Unterhaltsanspruch gegen den Kläger nicht schlechter, als wenn sie ihn nicht geheiratet hätte. Unter diesen Umständen könne die Versagung jeglichen Unterhalts unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten nicht als grob unbillig bezeichnet werden, zumal die Ehe bis zur Erhebung des Scheidungsantrages nur zwei Jahre und fünf Monate gedauert habe und daher verhältnismäßig kurz gewesen sei.

8           2. Dem hält die Revision entgegen, der Anwendungsbereich des § 1576 BGB sei nicht darauf beschränkt, über die in §§ 1570 ff. BGB geregelten Tatbestände hinaus Lücken zu schließen und gegenständlich andere als die gesetzlich aufgeführten anspruchsauslösenden Gründe einzubeziehen; vielmehr könne die Bestimmung auch herangezogen werden, um Lücken in den gesetzlichen Tatbeständen zu schließen und Bedürftigkeitsgründe zu erfassen, die im Gesetz zwar angesprochen, aber von einer Unterhaltsberechtigung ausgenommen worden seien. In diesen Bereich gehöre auch die Unterhaltsberechtigung bei Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder. Das Berufungsgericht habe davon ausgehen müssen, daß § 1576 BGB auch anzuwenden sei, wenn die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aus anderen als den in §§ 1570 bis 1575 BGB berücksichtigten Gründen, hier wegen der Betreuung erstehelicher Kinder, nicht möglich sei. Bei der gebotenen Prüfung der groben Unbilligkeit habe beachtet werden müssen, daß die der Beklagten obliegende Betreuung der beiden Kinder zeitlich begrenzt sei.

9           3. Der Ansicht der Revision, daß die Bedürftigkeit der Beklagten, die auf der Betreuung ihrer erstehelichen Kinder beruht, einen Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB begründe, kann nicht beigetreten werden.

10         a) Es trifft zu, daß der Anwendungsbereich der Vorschrift entsprechend ihrer Ausgestaltung als allgemeine Härteklausel weder im Verhältnis zum Regelungsbereich der §§ 1570 ff. BGB auf gegenständlich andere als die dort genannten Gründe begrenzt noch sonst Beschränkungen auf bestimmte Unterhaltstatbestände unterworfen ist. Nach der Vorstellung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, der die sogenannte positive Billigkeitsklausel in den Entwurf des ersten EheRG zusätzlich eingefügt hat, soll die Vorschrift sicherstellen, daß jede ehebedingte Unterhaltsbedürftigkeit erfaßt wird und es durch das Enumerationsprinzip zu keinen Ungerechtigkeiten kommt (vgl. zweiter Bericht und Antrag des Rechtsausschusses zum 1. EheRG, BT-​Drucks. 7/4361 S. 17). Eine etwaige darin zum Ausdruck kommende Begrenzung des Anwendungsbereichs auf Fälle ehebedingter Bedürftigkeit ist indessen nicht Gesetz geworden. Das ergibt sich einmal aus der auch vom Oberlandesgericht hervorgehobenen Entstehungsgeschichte des § 1576 BGB, dessen Fassung im weiteren Gesetzgebungsverfahren dahin geändert wurde, daß die Beschränkung auf "in den ehelichen Lebensverhältnissen liegende" schwerwiegende Gründe entfiel. Darüber hinaus spricht dafür der Umstand, daß, wie der Senat im Urteil vom 23. September 1981 (IVb ZR 590/80 - FamRZ 1981, 1163, 1164) dargelegt hat, auch die in §§ 1570 bis 1575 BGB geregelten Tatbestände des nachehelichen Unterhalts nicht generell dem Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Ehe und Bedürftigkeit unterliegen und nicht auf ehebedingte Bedürfnislagen beschränkt sind. Zwar sollte der Grundsatz der nachwirkenden Mitverantwortung der Ehegatten, durch den das als Konsequenz des verschuldensunabhängigen Scheidungsrechts eingeführte Prinzip der wirtschaftlichen Eigenverantwortung der Ehegatten eingeschränkt wurde (vgl. BVerfG FamRZ 1981, 745, 750), nach den ursprünglich im Gesetzgebungsverfahren verfolgten Vorstellungen nur eingreifen, wenn eine Bedürfnislage in Verbindung mit der Ehe steht (vgl. BT-​Drucks. 7/650 S. 120, 121). Dieser noch vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages im Sinne eines kausalen Zusammenhangs zwischen Ehe und Bedürftigkeit akzentuierte, als entscheidendes Kriterium für einen Unterhaltsanspruch nach neuem Recht hervorgehobene Gesichtspunkt der "ehebedingten Unterhaltsbedürftigkeit" (vgl. zweiter Bericht und Antrag des Rechtsausschusses, aaO S. 16), hat jedoch in dieser Form keinen Eingang in das Gesetz gefunden (vgl. Senatsurteile vom 23. September 1981 aaO S. 1164 sowie vom 21. Oktober 1981 - IVb ZR 605/80 - FamRZ 1982, 28, 29). Wenn aber schon die Tatbestände der §§ 1570 bis 1575 BGB nicht auf ehebedingte Bedürfnislagen beschränkt sind, so kann das erst recht nicht für die Regelung des § 1576 BGB gelten, die nach Art eines Auffangtatbestandes Regelungslücken schließen und die Vermeidung von Härten gewährleisten soll, die sich aus dem enumerativen Tatbestandskatalog der §§ 1570 bis 1575 BGB für den Unterhaltsgläubiger ergeben können.

11         Danach ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß die in § 1576 BGB vorausgesetzten schwerwiegenden Gründe für die Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit und die daraus resultierende Unterhaltsbedürftigkeit nicht ehebedingt sein müssen (ebenso Bastian/Roth-​Stielow/Schmeiduch, 1. EheRG § 1576 Rdn. 8; Dieckmann FamRZ 1977, 81, 98; Erman/Ronke, BGB 7. Aufl. § 1576 Rdn. 3; Palandt/Diederichsen, BGB 41. Aufl. § 1576 Anm. 2 b; Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts Rdn. 290; vgl. auch Soergel/Häberle, BGB 11. Aufl. § 1576 Rdn. 3; Rolland, 1. EheRG § 1576 BGB Rdn. 4 - a.A. Ambrok, Ehe und Ehescheidung § 1576 BGB Anm. II 2; Köhler, Handbuch des Unterhaltsrechts 5. Aufl. Rdn. 267; vgl. auch Gernhuber, Familienrecht 3. Aufl. § 30 VII 2 *= S. 399; MünchKomm/Richter, § 1576 Rdn. 1 sowie Ergänzung Rdn. 4 b). Unter diesen Umständen bestehen keine Bedenken, auch die Betreuung eines eigenen, nicht gemeinschaftlichen Kindes durch den unterhaltsbedürftigen Ehegatten als möglichen Grund für die Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1576 BGB anzuerkennen (vgl. auch Köhler, aaO Rdn. 297, der - von seinem Standpunkt aus - die Betreuung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes, das während der Ehe mit Einwilligung des Stiefvaters in den ehelichen Haushalt aufgenommen war, als ehebedingt berücksichtigt; ähnlich wohl auch Gernhuber FamRZ 1979, 193, 199).

12         b) Ebensowenig bestehen Bedenken, die Erwerbsbehinderung durch eine derartige Kindesbetreuung als "sonstigen schwerwiegenden Grund" im Sinne der Härteklausel anzusehen. Bei der Auslegung dieses Merkmals ist insbesondere an die Gründe anzuknüpfen, die den Tatbeständen der §§ 1570 bis 1572 BGB zugrunde liegen und für § 1576 BGB als Orientierungspunkte dienen (Schwab, aaO Rdn. 292; ähnlich Gernhuber, Familienrecht aaO S. 399; Soergel/Häberle, aaO Rdn. 3). Der Erwerbsbehinderung, die mit der hier in Frage stehenden Kindesbetreuung verbunden ist, muß aber für den betreuenden Ehegatten grundsätzlich das gleiche Gewicht beigemessen werden wie derjenigen durch die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes im Falle von § 1570 BGB. Demgemäß hat der Bundesgerichtshof zum früheren Unterhaltsrecht (§§ 58 ff. EheG) entschieden, daß auch die Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder eines Ehegatten eine Erwerbstätigkeit unzumutbar macht und es dem anderen Ehegatten nicht gestattet, seinen bedürftigen Ehepartner auf eine eigene Erwerbstätigkeit zu verweisen (vgl. BGH Urteil vom 4. April 1979 - IV ZR 62/78 - FamRZ 1979, 470, 471).

13         c) "Sonstige schwerwiegende Gründe" rechtfertigen den Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB nur dann, wenn seine Versagung unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre, d.h. seine Ablehnung dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspräche (vgl. Senatsurteil vom 9. Juli 1980 - IVb ZR 531/80 - FamRZ 1980, 877 m.w.N. zum Merkmal der groben Unbilligkeit in § 1381 BGB). Durch diese Anforderungen erfährt die Regelung eine (weitere) Einschränkung, die sie zu einer Ausnahmevorschrift, zu einer Härteklausel für Ausnahmefälle macht (vgl. OLG Bamberg FamRZ 1980, 587; OLG Köln FamRZ 1980, 886, 889; OLG Düsseldorf FamRZ 1980, 56; Erman/ Ronke, aaO Rdn. 5; Griesche FamRZ 1981, 423, 427; Göppinger/ Häberle, aaO Rdn. 509; MünchKomm/Richter, aaO Rdn. 1; Palandt/ Diederichsen, aaO Anm. 2 b; Soergel/Häberle, aaO Rdn. 1). Deshalb reicht in den hier betroffenen Fällen der Unterhaltsbedürftigkeit durch Betreuung von nicht gemeinschaftlichen Kindern die Anerkennung dieser Betreuung als schwerwiegender Grund für die Erwerbsbehinderung des bedürftigen Ehegatten nicht aus, um einen Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB zu begründen. Etwas anderes kann auch nicht aus den Erwägungen abgeleitet werden, aus denen der Bundesgerichtshof, wie dargelegt, zum früheren Unterhaltsrecht im Falle der Betreuung eines nicht gemeinschaftlichen Kindes eine Erwerbsobliegenheit verneint hat (vgl. Urteil vom 4. April 1979, aaO sowie Anmerkung dazu von Bosch S. 472).

14         Die Frage der unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung derartiger Betreuungsfälle ist im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum 1. EheRG Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs zum 1. EheRG zu § 1571 E (nunmehr § 1570 BGB) unter Bezugnahme auf die zum früheren Recht vertretene, dargelegte herrschende Auffassung und unter Hinweis auf die Empfehlung der Eherechtskommission, diesen Rechtszustand beizubehalten, daß der Entwurf dieser Empfehlung nicht folge und einen Unterhaltsanspruch nur für den Elternteil vorsehe, der wegen der Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes nicht erwerbstätig sein könne. Zwar könne für den Vorschlag der Eherechtskommission angeführt werden, daß der Ehegatte, der nach der Scheidung wegen der Betreuung eines nahen Angehörigen nicht erwerbstätig sein könne, ohne einen Unterhaltsanspruch häufig in eine schwierige Lage geraten könne. Hierfür dürfe dem anderen Ehegatten aber nicht die Verantwortung aufgebürdet werden. Der Gedanke, der unterhaltspflichtige Ehegatte habe dadurch, daß er der Aufnahme einer Person in seinen Haushalt zugestimmt habe, zugleich das dauernde Risiko übernommen, für deren Unterhalt sorgen zu müssen, sei nicht als hinreichender Grund für eine solche Regelung anzuerkennen. Wer Kinder oder andere Angehörige seines Ehegatten in den ehelichen Haushalt aufgenommen habe, solle nach der Scheidung nicht wegen dieses anerkennenswerten Verhaltens mit einer Unterhaltspflicht belastet und damit wegen eines im besonderen Maße ehegerechten Verhaltens schlechter gestellt werden, als wenn er die Aufnahme der betreuungsbedürftigen Person von vornherein abgelehnt hätte. Ein Teil der Fälle, nämlich diejenigen, in denen der geschiedene Ehegatte ein Kind aus einer früheren Ehe zu betreuen habe, werde durch § 1586 a E (nunmehr § 1586 a BGB) aufgefangen (BT-​Drucks. 7/650 S. 123). Diesen Standpunkt hat auch der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages grundsätzlich geteilt und die Vorschrift des § 1571 E unverändert übernommen. Sie ist in § 1570 BGB Gesetz geworden. Im zweiten Bericht des Rechtsausschusses heißt es insoweit, der Antrag, in die Vorschrift auch den Tatbestand der Pflege und Erziehung eines eigenen, nicht gemeinschaftlichen, in die Familie aufgenommenen Kindes einzubeziehen, habe im Ausschuß keine Mehrheit gefunden. Der Hinweis darauf, daß die vorgesehene Regelung eine Verschlechterung der Rechtsposition des geschiedenen Ehegatten bedeute, wurde ebensowenig für durchgreifend erachtet wie die Einwände, daß ein Ehegatte, der der Aufnahme eines Kindes seines Ehegatten in den gemeinschaftlichen Haushalt zustimme, damit auch eine Mitverantwortung für die ordnungsgemäße Betreuung des Kindes übernommen habe und daß die Kenntnis von der gegebenenfalls erhöhten Unterhaltsbedürftigkeit des anderen Ehegatten die Unterhaltsgewährung rechtfertige. Dazu heißt es, die Mehrheit sei der Ansicht, daß eine allgemeine Regelung für diese Fälle nicht vertretbar sei. Einem Ehegatten könne nicht generell die Verantwortung für das Kind des anderen Ehegatten aufgebürdet werden (BT-​Drucks. 7/4361 S. 29). Außerdem wird auf die Billigkeitsklausel des § 1576 BGB hingewiesen, die der Ausschuß - wohl auch im Hinblick auf die Fälle der Unterhaltsbedürftigkeit infolge Betreuung nicht gemeinschaftlicher Kinder - in den Gesetzentwurf eingefügt hatte (vgl. oben a). Insoweit wird ausgeführt, im übrigen werde durch diese Billigkeitsklausel sichergestellt, daß in den Fällen, in denen sich aufgrund der Umstände des Einzelfalles die Versagung eines Unterhaltsanspruchs für den Ehegatten, der wegen der Betreuung eines eigenen, nicht gemeinschaftlichen, in die Familie aufgenommenen Kindes nicht erwerbstätig sein könne, als grob unbillig erweise, ein Unterhaltsanspruch bestehe (BT-​Drucks. aaO).

15         Hiernach liefe es sowohl dem dargelegten Verständnis des § 1576 BGB als Ausnahmeregelung als auch den vorstehend wiedergegebenen gesetzgeberischen Absichten, die auch hinreichenden Ausdruck im Gesetz gefunden haben, zuwider, schon deshalb einen Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB zu bejahen, weil der bedürftige Ehegatte ein aus einer früheren Ehe stammendes Kind, das vom Ehepartner oder jedenfalls mit dessen Zustimmung während der (zweiten) Ehe in den ehelichen Haushalt aufgenommen war, nach der Scheidung dieser Ehe allein betreuen muß und dadurch an einer Erwerbstätigkeit gehindert wird. Ein solcher Anspruch kann sich vielmehr erst dann verwirklichen, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, daß die Versagung des Unterhalts unter Berücksichtigung der beiderseitigen Belange grob unbillig wäre.

16         Ob hierfür, wie das Berufungsgericht meint, nur Umstände in Betracht kommen, die einen sachlichen Bezug zur (geschiedenen) Ehe der Parteien oder zum Verhalten des in Anspruch genommenen Ehegatten - vor allem in, aber auch vor und nach der Ehe - haben, muß indessen fraglich erscheinen. Zwar trifft es zu, daß einem Zusammenhang der Bedürfnislage mit den ehelichen Lebensverhältnissen im Rahmen der Billigkeitsprüfung besonderes Gewicht zukommen wird. Das gleiche gilt für ein Verhalten des in Anspruch genommenen Ehegatten, aufgrund dessen der bedürftige Ehegatte auf die Mitverantwortung des anderen Ehegatten für eine nacheheliche betreuungsbedingte Unterhaltsbedürftigkeit vertrauen durfte. Das darf aber nicht zu dem Schluß verleiten, daß sich nur in solchen Umständen überzeugungskräftige Gründe für die grobe Unbilligkeit einer Unterhaltsversagung finden ließen. Die von einer solchen Annahme getragene Beurteilung liefe von vornherein Gefahr, der allgemeinen Fassung, welche die Billigkeitsnorm im Gesetzgebungsverfahren schließlich erlangt hat (vgl. oben a), nicht gerecht zu werden. Sie wird aber auch der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Vor allem ist nicht auszuschließen, daß auch dem Verhalten des unterhaltsbedürftigen Ehegatten im Rahmen der Billigkeitsabwägung durchschlagende Bedeutung zukommen kann, etwa, wenn er für die Lebensgemeinschaft und/oder für den anderen Ehegatten, sei es beim Aufbau oder bei der Sicherung der Existenz oder auch in Zeiten von Krankheit oder in sonstigen Notlagen, besondere Opfer gebracht hat (vgl. auch Bastian/Roth-​Stielow/Schmeiduch, aaO Rdn. 5; Erman/Ronke, aaO Rdn. 4; MünchKomm/Richter, aaO Ergänzung Rdn. 4 f.). Ferner muß in diesem Zusammenhang - soweit das nicht bereits aufgrund der vom Berufungsgericht vertretenen Auslegung möglich ist - einer langen Dauer der Ehe zugunsten des unterhaltsbedürftigen Ehegatten Bedeutung beigemessen werden, da sie auch nach der sonstigen Einschätzung des Gesetzes, etwa in § 1582 Abs. 1 Satz 2 BGB, die nachwirkende eheliche Mitverantwortung erhöht. Auch solche Umstände, die ihrer Art nach an sich unter die übrigen Unterhaltstatbestände, insbesondere §§ 1571 oder 1572 BGB, fallen, zu deren Verwirklichung aber nicht ausreichen, können einbezogen werden (vgl. Bastian/Roth-​Stielow/ Schmeiduch, aaO Rdn. 5). Schließlich können auch wirtschaftliche Verhältnisse zu berücksichtigen sein, die es dem in Anspruch genommenen Ehegatten unschwer ermöglichen, für den Unterhalt aufzukommen (vgl. auch AK/Derleder § 1576 Rdn. 3).

17         d) Weder die vom Berufungsgericht ins Auge gefaßten noch sonstige, eine Billigkeitsabwägung zugunsten der Beklagten rechtfertigende Gründe liegen hier jedoch vor. Sie ergeben sich auch nicht aus dem von der Revision in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Umstand, daß die Beklagte über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge und der Kläger sie in Kenntnis der daraus folgenden Erwerbsuntüchtigkeit geheiratet habe. Einer etwaigen hieraus folgenden Mitverantwortung des anderen Ehegatten wird vom Gesetz bereits in § 1573 Abs. 1 BGB Rechnung getragen, wonach ein bedürftiger Ehegatte jedenfalls Unterhalt verlangen kann, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag. Wenn diese Voraussetzung, wie hier, nicht erfüllt ist, so kann der aufgezeigte Umstand nicht herangezogen werden, um im Rahmen der Härteklausel die grobe Unbilligkeit der Unterhaltsversagung zu begründen.

18         Damit hat das Oberlandesgericht zu Recht einen Unterhaltsanspruch aus § 1576 BGB verneint.