Fußnote 187 OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. Mai 2002 – 18 UF 163/01 Rn. 29.
Gericht: | OLG Karlsruhe Senat für Familiensachen |
Entscheidungsdatum: | 28.05.2002 |
Aktenzeichen: | 18 UF 163/01 |
ECLI: | ECLI:DE:OLGKARL:2002:0528.18UF163.01.0A |
Dokumenttyp: | Urteil |
Quelle: | |
Normen: | § 1574 Abs 1 BGB, § 1574 Abs 2 BGB |
Zitiervorschlag: | OLG Karlsruhe, Urteil vom 28. Mai 2002 – 18 UF 163/01 –, juris |
Nachehelicher Unterhalt: Erforderliche Erwerbsbemühungen einer geschiedenen Ehefrau
Orientierungssatz Die unterhaltsberechtigte geschiedene Ehefrau muß sich ein fiktives Einkommen zurechnen lassen, wenn sie einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, obwohl sie es könnte. Ist sie arbeitslos, muß sie für die Suche nach Arbeit etwa die Zeit aufwenden, die ein Erwerbstätiger für seinen Beruf aufwendet, so daß monatlich bis zu 20 Bewerbungen zu verlangen sind. Die Arbeitsbemühungen und die subjektive Arbeitsbereitschaft müssen auch ernsthaft sein.
Fundstellen
FamRZ 2002, 1567-1568 (red. Leitsatz und Gründe)
Diese Entscheidung wird zitiert
KommentareHerberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB● Silke Kaplan, 10. Auflage 2023, § 1573 BGB
● Silke Kaplan, 10. Auflage 2023, § 1574 BGB
Tenor 1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 26. Juli 2001 (45 F 219/01) unter Zurückweisung der Berufung im übrigen wie folgt neu gefasst:
Der Kläger ist in Abänderung der am 03.12.1997 im Verfahren 46 F 268/96 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg geschlossenen Vereinbarung für den Monat Dezember 2001 und für die Monate April 2002 bis September 2002 nur noch verpflichtet, an die Beklagte Elementarunterhalt in Höhe von 453,28 EUR , Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 110,48 EUR und Krankenvorsorgeunterhalt in Höhe von 5 EUR zu bezahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des 1. Rechtszugs trägt der Kläger 5/6 und die Beklagte 1/6, von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 4/5 und die Beklagte 1/5.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe1 Der Kläger verlangt Abänderung einer Vereinbarung über die Zahlung nachehelichen Unterhalts.
2 Die Parteien haben im Juli 1973 geheiratet und sich im Dezember 1993 getrennt. Mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 09.04.1997 wurden sie rechtskräftig geschieden. Sie haben einen gemeinsamen Sohn -, geb. 18.02.1977, der bis Ende 1999 bei der Beklagten lebte und - im Anschluss an eine im Sommer 1999 abgeschlossene Ausbildung zum Industriekaufmann - seit dem Wintersemester 2000/2001 ein Fachhochschulstudium absolviert. Die am 24.04.1949 geborene Beklagte ist gelernte Bankkauffrau und war vor ihrer Eheschließung knapp vier Jahre in diesem Beruf tätig. Seit der Heirat im Jahre 1973 war die Beklagte nicht erwerbstätig.
3 Die Parteien schlossen vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg am 03.12.1997 eine Scheidungsfolgenvereinbarung, in der sich der Kläger zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Höhe von insgesamt DM 1.735 verpflichtete (Barunterhalt DM 1.200, Altersvorsorgeunterhalt DM 290 und Kranken-/Pflegeversicherungsunterhalt DM 245). Seitens des Klägers wurde ein Bruttoeinkommen von DM 73.680,23 zugrundegelegt. Der Beklagten wurde ein fiktives Monatseinkommen in Höhe von DM 610,-- abzüglich berufsbedingter Aufwendungen von DM 90,-- zugerechnet.
4 Die Beklagte nahm Ende 1992 an einem vierwöchigen Seminar des Arbeitsamtes F. "Qualifikationstraining für Wiedereinsteigerinnen" teil. Während der Trennungszeit der Parteien hat sie begonnen, Arbeit zu suchen. Im Januar 1995 arbeitete sie kurzzeitig bei der B. Beamtenbank an der Hauptkasse, war den Anforderungen indes insbesondere wegen fehlender EDV-Kenntnisse nicht gewachsen. Im Jahre 1995 besuchte sie am Institut für Sprachen und Wirtschaft in F. einen sechsmonatigen Kurs "Wiedereinstieg ins kaufmännische Berufsleben". Nach der Scheidung der Ehe bewarb sie sich auf Annoncen im Jahre 1998 ca. 70 Mal, im Jahre 1999 ebenfalls 70 Mal, im Jahre 2000 97 Mal und im Jahre 2001 104 Mal. Neben vereinzelten Bewerbungen in ihrem erlernten Beruf als Bankkauffrau bewarb sie sich etwa als kaufmännische Mitarbeiterin, Sekretärin und Bürofachkraft/-Assistentin, als Kassiererin, als Verkäuferin in verschiedenen Branchen, als Mitarbeiterin am Empfang und bei Pflegediensten. Dabei verwandte sie bei nahezu allen Bewerbungen den selben Text, ohne einen konkreten Bezug zu der angebotenen Stelle herzustellen. Als Motiv für die Bewerbung führte sie stets an, dass die Anzeige sie "angesprochen" habe. Schließlich wies sie auf die beiden von ihr besuchten Fortbildungsveranstaltungen in den Jahren 1992 und 1995 hin. Seit August 2001 variierte sie ihre Bewerbungsschreiben entsprechend den im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Hinweisen.
5 Die Bewerbungen hatten keinen Erfolg.
6 Die Beklagte nimmt seit April 2002 an einem ganztägigen Lehrgang der Deutschen-Angestellten-Akademie teil zum Thema "Kaufmännische Qualifizierung und Praxis für langzeitarbeitslose Kaufleute" (sechs Monate Lehrgang zuzüglich drei Monate Praktikum). Bereits im Dezember 2001 hatte sie den gleichen Lehrgang begonnen, dann aber abgebrochen, da sie sich um ihre Mutter, die zum Pflegefall geworden war, kümmerte. Im Dezember 2001 und von April bis September 2002 bezieht sie Unterhaltsgeld in Höhe von monatlich 583 Euro. Darüber hinaus erhält sie einen Kranken-/Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von monatlich 120,38 Euro sowie die Fahrkosten zum Lehrgangsort. Ihr monatlicher Aufwand für Kranken- und Pflegeversicherung beträgt 169 Euro.
7 Der Kläger verfügt derzeit nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen über ein Nettoeinkommen von DM 3.452 ( = Euro 1765). Mit Schreiben des Studentenwerks F. vom 05.04.2002 wurde er zur Zahlung von Kindesunterhalt für den gemeinsamen Sohn Stefan in Höhe von insgesamt Euro 3.161,20 in Anspruch genommen (Zeitraum Mai 2001 bis Februar 2002). Der Kläger hat insoweit Widerspruch eingelegt; Zahlungen erbringt er derzeit nicht.
8 Der Kläger behauptet, dass sich die der Unterhaltsvereinbarung zugrundeliegenden Verhältnisse wesentlich geändert hätten. Er ist der Meinung, dass ihm ein Festhalten an der Unterhaltsvereinbarung nicht mehr zumutbar sei. Die Beklagte sei verpflichtet, einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die von ihr insoweit entfalteten Bemühungen seien schon quantitativ nicht ausreichend (1998: 1,31 Bewerbungen pro Woche; 1999: 1,35 Bewerbungen pro Woche; 2000: 1,87 Bewerbungen pro Woche; 2001: 2 Bewerbungen pro Woche), zumal sich die Beklagte teilweise auf Stellen beworben habe, für die sie völlig ungeeignet sei (Telefonverkäuferin, Bewerbung an der Kasse bei WOM und im medientechnischen Bereich). Die Beklagte habe sich nicht breit genug beworben (etwa bei einem Call-Center). Schließlich seien die Bewerbungen so formuliert gewesen seien, dass sie in ihrer Mehrzahl keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. Soweit die Beklagte sich nunmehr für einen Lehrgang bei der Deutschen Angestelltenakademie angemeldet habe, hätte sie dies bereits vor Jahren tun müssen. Im Ergebnis müsse sich die Beklagte so behandeln lassen, als könne sie ein Einkommen von DM 2.500 netto erzielen, so dass ihr kein Unterhaltsanspruch mehr zustehe. Das im Dezember 2001 und seit April 2002 bezogene Unterhaltsgeld müsse sich die Beklagte in jedem Fall anrechnen lassen.
9 Der Kläger hat beantragt,
10 in Abänderung der am 03.12.1997 im Verfahren 46 F 268/96 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg abgeschlossenen Vereinbarung festzustellen, dass er ab 01.06.2001 nicht mehr verpflichtet ist, an die Beklagte nachehelichen Unterhalt zu bezahlen. Darüber hinaus hat er beantragt, die Beklagte zur Rückzahlung des während der Dauer dieses Verfahrens gezahlten nachehelichen Unterhalts zu verurteilen.
11 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
12 Sie behauptet unter Darlegung der im Einzelnen von ihr unternommenen Bemühungen, sie habe sich intensiv und ernsthaft um die Erlangung einer Arbeitsstelle bemüht. Ihre Erwerbsbemühungen seien sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht ausreichend. Wegen ihres Alters und ihrer fehlenden beruflichen Erfahrung habe sie auf dem Arbeitsmarkt indes keine Chance. Sie habe sich auch breit genug beworben.
13 Das Amtsgericht hat der Klage zum Teil stattgegeben und die Scheidungsfolgevereinbarung mit Wirkung vom 01.06.2001 dahingehend abgeändert, dass der Kläger nur noch nachehelichen Unterhalt in Höhe von insgesamt 783,-- DM schuldet (630,-- DM Elementarunterhalt, 153,-- DM Vorsorgeunterhalt) sowie auf Rückzahlung der überzahlten Beträge für die Monate Juni und Juli 2001 erkannt.
14 Dabei hat das Amtsgericht der Beklagten ein fiktives Einkommen von netto 2.000 DM zugerechnet. Die Beklagte habe zwar relativ viele Bewerbungen verschickt. Diese seien jedoch von vornherein so formuliert gewesen, dass ein Arbeitgeber sie nicht in die nähere Auswahl ziehen würde. Da die Beklagte allerdings jahrelang nicht erwerbstätig gewesen sei, könne sie maximal 2.000,-- DM monatlich verdienen, so dass sich unter Zugrundelegung der Differenzmethode lediglich eine Reduzierung des Unterhaltsanspruchs, nicht jedoch dessen vollständiger Wegfall ergebe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen.
15 Mit der Berufung verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung der Scheidungsfolgenvereinbarung. Sie beantragt,
16 Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und Klageabweisung.
17 Der Kläger beantragt
18 Zurückweisung der Berufung.
19 Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend trägt er - erstmals - vor, dass er während der Ehezeit zusätzlich zu seiner Erwerbstätigkeit nahezu den ganzen Haushalt geführt habe. Auch die Kindererziehung habe deutlich mehr bei ihm gelegen; er habe sich weitgehend wie ein alleinerziehender Vater gefühlt. In rechtlicher Hinsicht folge hieraus, dass die ehelichen Lebensverhältnisse nicht durch die Tätigkeit der Haushaltsführung durch die Beklagte geprägt gewesen seien. Die Entscheidung des BGH vom 13.06.2001 sei daher vorliegend nicht anwendbar, denn die fiktive Berufstätigkeit könne hier kein Surrogat der bisherigen Haushaltsführung darstellen. Bei einem derart krassen Fall wie diesem, bei dem über Jahre hinweg keine Haushaltsführung durch die Beklagte erfolgt sei, sei es geboten, die fiktiven Erwerbseinkünfte nach der Anrechnungsmethode zu berücksichtigen.
20 Die Beklagte bestreitet diesen Vortrag; die Parteien hätten vielmehr tatsächlich eine klassische Hausfrauenehe geführt. Unabhängig davon könne die Argumentation des Beklagten auch in rechtlicher Hinsicht nicht überzeugen.
21 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
22 Der Senat hat die Akten des vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg Scheidungsverfahrens beigezogen (46 F 268/96).
23 Die zulässige Berufung hat im Wesentlichen Erfolg.
24 1. Bei der von den Parteien am 03.12.1997 geschlossenen Scheidungsfolgenvereinbarung handelt es sich um einen Prozessvergleich, der nach den Regeln des materiellen Rechts und damit nach den aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsätzen über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage abänderbar ist. Ob eine Störung der Geschäftsgrundlage eingetreten ist, bestimmt sich nach dem der Einigung zugrundegelegten Parteiwillen. Dabei ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, welche Verhältnisse die Parteien zur Grundlage ihrer Einigung gemacht haben. Eine etwaige Anpassung erfolgt nicht schematisch und automatisch. Vielmehr ist eine Korrektur wegen veränderter Umstände nur dann gerechtfertigt, wenn dem Abänderungskläger ein Festhalten an der bisherigen Regelung in Folge der veränderten Umstände nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht zuzumuten ist. Anders als bei einem Urteil kann bei einem Prozessvergleich eine Abänderungsklage auch darauf gestützt werden, dass die der Vereinbarung zugrundegelegten Verhältnisse schon damals nicht den Tatsachen entsprachen; § 323 Abs. 4 ZPO gilt insoweit nicht (BGH FamRZ 1984, 997).
25 Vorliegend liegt eine Veränderung der Verhältnisse vor, soweit die Beklagte Unterhaltsgeld bezieht (Dezember 2001, April bis September 2002). Insoweit hat auch nach Treu und Glauben eine Anpassung der Vereinbarung zu erfolgen (siehe dazu unten 2.).
26 Was das weitergehende Begehren des Klägers angeht, erscheint indes zweifelhaft, ob eine wesentliche Veränderung der für den Abschluss der Scheidungsvereinbarung maßgeblichen Verhältnisse vorliegt. Ausweislich der im Scheidungsverfahren 46 F 268/96 gewechselten Schriftsätze und des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 03.12.1997 gingen die Parteien bei Abschluss des Vereinbarung davon aus, dass die Beklagte grundsätzlich zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit verpflichtet war. Dies lag auch nahe, da der gemeinsame Sohn der Parteien damals bereits volljährig war und daher keiner Betreuung mehr bedurfte. Fiktiv zugerechnet hat man der Beklagten damals indes lediglich ein Einkommen aus geringfügiger Tätigkeit. Warum man ihr kein höheres Einkommen fiktiv zugerechnet hat, lässt sich der Akte des Scheidungsverfahrens nicht entnehmen. Insoweit sind verschiedene Interpretationen denkbar. Zum einen ließe sich vermuten, dass die Parteien davon ausgingen, dass die Beklagte bei ausreichenden Erwerbsbemühungen jedenfalls eine geringfügige Tätigkeit hätte finden müssen und man sich im Vergleichswege auf die fiktive Anrechnung zumindest diesen Betrages verständigte. Warum die Beklagte dann allerdings drei Jahre später bei ausreichenden Erwerbsbemühungen eine Vollzeitstelle hätte finden müssen - und insoweit also eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist -, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Denkbar wäre indes auch, dass der Beklagten lediglich - sozusagen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - noch eine gewisse Übergangszeit zugebilligt werden sollte, bis ihr ein Einkommen aus Vollzeittätigkeit zugerechnet werden sollte. Dann wäre eine Veränderung der Verhältnisse - durch Zeitablauf - eingetreten. Für diese Auslegung - die an und für sich nahe liegen dürfte - findet sich allerdings im Text des Vergleichs und auch im Sitzungsprotokoll kein Hinweis.
27 Letztlich kann dahinstehen, ob eine Änderung der der Vereinbarung der Parteien zugrundegelegten Verhältnisse eingetreten ist. Das auf die Anrechnung eines fiktiven Einkommens aus einer Vollzeittätigkeit gestützte Abänderungsbegehren des Klägers hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil es für ihn nicht unzumutbar ist, sich an der Scheidungsvereinbarung weiterhin festhalten zu lassen. Denn entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die Bemühungen der Beklagten, eine Arbeitsstelle zu finden, nach Auffassung des Senats als noch ausreichend anzusehen. Treu und Glauben gebieten es daher nicht, ihr ein höheres Entgelt zuzurechnen als dasjenige, das bereits in der Scheidungsvereinbarung zugrundegelegt wurde.
28 Fiktives Einkommen kann zuzurechnen sein, wenn der Unterhaltsberechtigte einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht nachgeht, obwohl er es könnte. Er muss seine Arbeitskraft entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und der Arbeitsmarktlage in zumutbarer Weise bestmöglich einsetzen.
29 Zu den ausreichenden Bemühungen um Arbeit gehört zunächst die Meldung als Arbeitssuchender beim Arbeitsamt und die Wahrnehmung der angebotenen Vermittlungen. Diese Meldung ist erforderlich, aber keineswegs ausreichend. Zu den zumutbaren Arbeitsbemühungen gehört auch, dass Stellenangebote in Zeitungen und Anzeigeblättern, die am Wohnort oder auch in der Region erscheinen, auf entsprechende Anzeigen überprüft werden. In Frage kommen auch sonstige Privatinitiativen wie Erkundigungen im Bekanntenkreis und ähnliches. Zu den Bemühungen gehören vor allem auch rechtzeitige schriftliche oder persönliche und nicht nur telefonische Bewerbungen bei Firmen und Behörden, die für eine Stellenvergabe in Betracht kommen (Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Aufl. 2000, Rn. 617; Wendl/Haußleiter, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 5. Aufl. 2001, § 1 Rn. 427). In der Rechtsprechung wird gefordert, dass der Arbeitslose für die Suche nach Arbeit etwa die Zeit aufwende, die ein Erwerbstätiger für seinen Beruf aufwendet, so dass monatlich bis zu 20 Bewerbungen zu verlangen sind (Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.0., Rn. 620; Wendl/Haußleiter a.a.O.; OLG Koblenz, FamRZ 2000, 313, 314; OLG Naumburg, FamRZ 1997, 311). Dabei hat der Unterhaltspflichtige die Darlegungs- und Beweislast für die erfolglose Arbeitssuche, d.h. er muss in nachprüfbarer Weise vortragen und ggfs. beweisen, welche konkreten Bemühungen er entfaltet hat, Arbeit zu finden (BGH FamRZ 2000, 1358; 1996, 345).
30 Die Arbeitsbemühungen und die subjektive Arbeitsbereitschaft müssen auch ernsthaft sein. Wenn Zweifel bestehen, ist dies vom Gericht besonders sorgfältig nachzuprüfen (anhand der Arbeitsbiographie, dem Parteivortrag, dem Text von Bewerbungsschreiben, ggf. Beweiserhebungen zu Vorstellungsgesprächen). Nicht selten wird eine fehlende Arbeitswilligkeit durch Vorlage von zahlreichen Bewerbungsschreiben und Absagen verschleiert. Bewerbungsschreiben dürfen nicht so abgefasst sein, dass sie den Eindruck der mangelnden Eignung oder Arbeitsunlust erwecken. Sie müssen erkennen lassen, welchen konkreten Bezug der Bewerber zur angebotenen Stelle hat und ggf. auf eine absolvierte Fortbildung hinweisen (Kalthoener/ Büttner/ Niepmann, a.a.O. Rdnr. 618 mit Rechtsprechungsnachweisen). Zweifel an der Ernsthaftigkeit gehen zu Lasten des Arbeitssuchenden, dem insoweit die Darlegungs- und Beweislast obliegt (Wendl-Haußleiter, a.a.O., § 1 Rdnr. 428; Kalthoener/ Büttner/ Niepmann, a.a.O. Rdnr. 623 - jeweils m.w.N.).
31 Vorliegend erreichen die Bewerbungen in quantitativer Hinsicht zwar nicht einen Monatsschnitt von 20 (sondern rund 8 pro Monat). 20 Bewerbungen wird man indes auch nicht schematisch in jedem Fall zu verlangen haben. Vielmehr kann bei ungünstigen Verhältnissen auch eine geringere Anzahl ausreichen (vgl. Kalthoener/ Büttner/ Niepmann, a.a.O Rndr. 620 mit Rechtsprechungsnachweisen, insbesondere etwa OLG Bamberg, FamRZ 1998, 289: ausreichend 40 Bewerbungsschreiben und 2 Inserate in 7 Monaten bei 47jährigen Arztehefrau nach 18 Jahren familiärer Tätigkeit). Gerade bei Langzeitarbeitslosen, die sich zudem nicht bundesweit bewerben, wird man auch eine geringere Zahl von Bewerbungen für ausreichend halten können, nicht zuletzt um "Alibibewerbungen" zu vermeiden. Die Beklagte hat sich bereits vor der Scheidung, aber vor allen Dingen nach der Scheidung kontinuierlich auf ein denkbar breites Spektrum von Stellen beworben. Dabei konnte sie für einen Zeitraum von vier Jahren allein rund 350 schriftliche Bewerbungen vorlegen. Diese Zahl ist auch nicht etwa deswegen zu relativieren, weil ein Teil der Stellen von vornherein ungeeignet gewesen wären. Vielmehr hat die Beklagte gerade durch die Breite ihrer Bewerbungen gezeigt, dass sie ohne Beschränkung auf den erlernten Beruf zu einem flexiblen Einsatz bereit ist. In quantitativer Hinsicht erscheinen die Bewerbungen insgesamt ausreichend.
32 Allerdings hat die Beklagte in nahezu allen Fällen das gleiche Bewerbungsschreiben verwandt. Selbst bei Bewerbungen bei Banken wurde der Text nur geringfügig dahingehend modifiziert, dass sie gerne in ihren "erlernten Beruf" zurückkehren wolle. Negativ dürfte auch der Hinweis auf die 1992 und 1995 besuchten Fortbildungen des Arbeitsamtes bzw. am Institut für Sprachen und Wirtschaft gewirkt haben, und zwar deswegen, weil diese schon sehr lange zurückliegen. Die Beklagte könnte so den Eindruck vermittelt haben, dass sie nicht nachhaltig an einem Wiedereinstieg in das Berufsleben interessiert ist, wenig Initiative und Engagement zeigt. Allerdings wäre die Frage der beruflichen Weiterqualifikation ohnehin Thema eines etwaigen Einstellungsgesprächs geworden, so dass der Senat die - immerhin wahrheitsgemäße - Erwähnung im Bewerbungsanschreiben zwar möglicherweise als ungeschickt, letztlich aber als unschädlich bewertet (vgl. insoweit OLG Bamberg, FamRZ 1998, 289) Soweit die Beklagte keinen konkreten Bezug zu den annoncierten Stellen hergestellt hat, ist zu sehen, dass die Stellen, auf die sich die Beklagte beworben hat, auch wenig dafür hergaben, irgendeinen individuellen, konkreten Bezug herzustellen. Es ist schwer vorstellbar, was genau die Beklagte hätte schreiben sollen, um aus der Zahl der anderen - sicherlich zum Teil jüngeren oder/und qualifizierteren Bewerber(innen) - hervorzustechen. Aus der Fassung der Bewerbungsschreiben wird man daher kaum auf eine Arbeitsunwilligkeit der Beklagten schließen können. Dies gilt selbst dann, wenn man bei einer Gesamtschau des Bewerbungsverhaltens die - in der Tat geringen - Bemühungen der Beklagten um berufliche Weiterqualifikation miteinbezieht, wobei zu berücksichtigen ist, dass derartige Fortbildungs- und Umschulungsangebote zum Teil nur unter eingeschränkten Bedingungen zur Verfügung standen. Vielmehr sind die Bemühungen der Beklagten angesichts der Anzahl, Nachhaltigkeit und Breite ihrer Bewerbungen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Möglichkeiten als (noch) ausreichend anzusehen, zumal sie nunmehr eine recht umfangreiche Fortbildungsmaßnahme begonnen und diese offensichtlich mit einer gewissen Freude und Engagement betreibt - was letztlich auch für die Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen spricht, Arbeit zu finden. Ein fiktives Einkommen (über 630 DM) kann ihr daher derzeit und für die zurückliegende Zeit nicht zugerechnet werden.
33 2. Anzupassen ist die Unterhaltsvereinbarung der Parteien allerdings insoweit, als die Beklagte im Dezember 2001 und im Zeitraum April bis September 2002 Unterhaltsgeld bezieht.
34 Dabei ist es angemessen, bei der Unterhaltsberechnung die Differenzmethode anzuwenden. Insoweit ist der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH vom 13.06.2001, FamRZ 2001, 986) Rechnung zu tragen, derzufolge der sich nach § 1578 zu bemessende Unterhaltsbedarf eines Ehegatten, der seine Arbeitsfähigkeit während der Ehe ganz oder zum Teil in den Dienst der Familie gestellt und den Haushalt geführt und der nach Scheidung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, sich nicht nur nach dem in der Ehe zur Verfügung stehenden Bareinkommen des Unterhaltspflichtigen richtet. Vielmehr ist ausgehend von der Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit das Erwerbseinkommen, das der Unterhaltsberechtigte nach der Ehe erzielt, bei der Unterhaltsbemessung mit zu berücksichtigen und der Unterhalt nicht mehr nach der sog. Anrechnungsmethode, sondern nach der Differenzmethode zu ermitteln. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - davon auszugehen ist, dass die Parteien bei ihrer Vereinbarung die Anrechnungsmethode nur deshalb zugrundegelegt haben, weil sie der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung geltenden Rechtspraxis entsprach (vgl. allgemein zur Abänderung von Prozessvergleichen nach dem 13.06.2001: BGH FuR 2001, 494 = FamRZ 2001, 1687). Soweit der Kläger vorträgt, die Parteien hätten keine klassische Hausfrauenehe geführt, ist dieser Vortrag bestritten und schon daher - mangels Beweisantritt - unbeachtlich. Einer Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des Klägers bedurfte es daher nicht.
35 Auf der Seite des Klägers ist sein derzeitiges Nettoeinkommen in Höhe von 1765 EUR einzustellen. Nachdem er keinen Unterhalt für den gemeinsamen Sohn zahlt und nicht absehbar ist, wann das diesbezügliche Verwaltungsverfahren seinen Abschluss finden wird, kann Kindesunterhalt derzeit nicht in Abzug gebracht werden.
36 Auf Seiten der Beklagten ist das von ihr im Dezember 2001 und seit April 2002 bezogene Übergangsgeld in Höhe von monatlich 583 Euro sowie der Zuschuss für den Kranken-/Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von monatlich 120,38 Euro anzusetzen. Berufsbedingte Aufwendungen entstehen ihr in dieser Zeit nicht, da sie Fahrtkosten zusätzlich erstattet bekommt. Auch erscheint es nicht angemessen, ihr einen Erwerbstätigenbonus zugute kommen zu lassen, da ihr durch den Besuch der Fortbildungsmaßnahme keine vergleichbaren Aufwendungen entstehen wie einem Erwerbstätigen und - angesichts der langen Arbeitslosigkeit und der durch die Fortbildung gesteigerten Chance, Arbeit zu finden - kein zusätzlicher Anreiz für den Besuch der Fortbildung geschaffen werden muss. Der Krankenversicherungszuschuss ist vom vereinbarten Krankenversicherungsunterhalt abzuziehen, so dass sich ein Restkrankenvorsorgeunterhalt von rund 5 EUR ergibt, der vom Unterhaltsgeld abzuziehen ist, so dass sich ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen der Beklagten in Höhe von rund 578 EUR ergibt. Soweit der Beklagten ein tatsächlicher Krankenversicherungsaufwand von 169 EUR monatlich entsteht - und damit mehr, als ihr der Kläger bisher geschuldet hat (245 DM = rund 125 EUR), führt dieser höhere Aufwand nicht zu einem höheren Krankenvorsorgeunterhalt, da die Beklagte eine Erhöhung nicht gefordert und im übrigen diesen Betrag auch bisher offenbar aus ihrem Elementarunterhalt beglichen hat und nichts dafür vorgetragen ist, warum dies zukünftig mit Treu und Glauben nicht vereinbar sein sollte.
37 Vom Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 1765 EUR sind die 5 EUR Restkrankenvorsorgeunterhalt abzuziehen, so dass sich nach Abzug des Erwerbstätigenbonus von 10 % ein Einkommen von 1584 EUR ergibt, aus dem sich ein vorläufiger Elementarunterhalt der Beklagten von 503 EUR errechnet ( 1584 ./. 578 = 1006 : 2 = 503). Hochgerechnet nach der Bremer Tabelle ist von einem fiktiven Bruttoeinkommen der Beklagten von 578,45 EUR auszugehen, aus dem sich ein Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 110,48 EUR (19,1 %) errechnet. Der endgültige Elementarunterhaltsanspruch der Beklagten errechnet sich wie folgt:
38
| |
| EUR |
Einkommen des Klägers | 1765 |
abzgl. Restkrankenvorsorge | 5 |
abzgl. Vorsorgeunterhalt | 110,48 |
| 1649,52 |
hiervon 9/10 | 1484,57 |
abzgl. Nettoeinkommen Beklagte | 578 |
| 906,57 |
1/2 | 453,28 |
39 Die Beklagte hat also Anspruch auf Elementarunterhalt in Höhe von 453,28 EUR, Vorsorgeunterhalt in Höhe von 110,48 EUR und Krankenvorsorgeunterhalt in Höhe von 5 EUR.
40 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Dabei hält der Senat folgende Aufteilung in der Regel für sachgerecht: Alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung der Instanz eingeklagten Monatsbeträge sind getrennt nach Obsiegen und Unterliegen aufzusummieren und um den zwölffachen Betrag des in der letzten mündlichen Verhandlung verlangten Zukunftsunterhalt, ebenfalls getrennt nach Obsiegen und Unterliegen, zu erhöhen, soweit nicht eine kürzere Geltungsdauer des Titels zu erwarten ist.
41 Vorliegend hat der Kläger erstinstanzlich eine Abänderung seiner Unterhaltsverpflichtung auf Null erstrebt. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht am 11.07.2001 waren insoweit (Anhängigkeit der Klage: Juni 2001) 2 Monatsbeträge fällig geworden, zu denen für den Zukunftsunterhalt analog § 17 GKG weitere 12 Monatsbeträge zu addieren sind. Der für die Kostenentscheidung maßgebliche Wert des Verfahrens 1. Instanz beträgt damit 14 x 1.735 DM (= 24.290 DM). Obsiegt hat der Kläger letztlich lediglich insoweit, als für 7 Monate seine Unterhaltsverpflichtung auf insgesamt 568,76 EUR (1.112,40 DM), d. h. um monatlich 622,60 DM, insgesamt also um 4358 DM reduziert wurde. Danach erscheint eine Quotierung von 5/6 zu 1/6 angemessen. Zweitinstanzlich stand nur noch die Differenz zwischen den in der Vereinbarung festgelegten Beträgen von monatlich insgesamt 1.735 DM und den erstinstanzlich titulierten Beträgen in Streit, mithin ein Monatsbetrag von 952 DM. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat waren insoweit 12 Monatsbeträge fällig geworden, zu denen weitere 12 Monatsbeträge als Zukunftsunterhalt zu addieren sind. Der für die Kostenentscheidung maßgebliche Gesamtwert beträgt damit 24 x 952 DM (= 22.848 DM oder 11.682 EUR). Obsiegt hat die Beklagte/ Berufungsführerin insoweit, als für 17 Monate der ursprüngliche Titel vollständig (17 x 952), und für 7 Monate teilweise wiederhergestellt wurde (Anhebung der monatliche Unterhaltsverpflichtung auf 1.112,40 DM gegenüber erstinstanzlich festgesetzten 783 DM; Differenz: 329,40 DM, insgesamt: 7 x 329,40 DM = 2.306 DM). Setzt man das Maß des Obsiegens der Beklagten in Höhe von 18.490 DM (17 x 952 zzgl. 2.306 DM) zum Wert des Berufungsverfahrens ins Verhältnis, erscheint eine Quotierung von 4/5 zu 1/5 angemessen.
42 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.Die gesetzlichen Voraussetzungen der Revisionszulassung (§ 546 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 621 d ZPO) sind nicht erfüllt.