BGH, Urteil vom 29. Oktober 1986
– IVb ZR 82/85 Rn. 8.

Fußnote 184.

Gericht:

BGH 4b. Zivilsenat

Entscheidungsdatum:

29.10.1986

Rechtskraft:

ja

Aktenzeichen:

IVb ZR 82/85

Dokumenttyp:

Urteil


Quelle:

 

Norm:

§ 1573 Abs 1 BGB

Zitiervorschlag:

BGH, Urteil vom 29. Oktober 1986 – IVb ZR 82/85 –, juris



            Nachehelicher Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit

Leitsatz

            1. Zu den Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs aus BGB § 1573 Abs 1.

Fundstellen
JZ 1987, 159-​159 (red. Leitsatz und Gründe)
ZfJ 1987,138-​139 (red. Leitsatz und Gründe)
FamRZ 1987, 144-​145 (red. Leitsatz und Gründe)
MDR 1987, 301-​301 (red. Leitsatz und Gründe)
EBE/BGH 1987, 8-​8 (red. Leitsatz und Gründe)
BGHR BGB § 1573 Abs 1 Beweislast 2 (Gründe)
BGHR BGB § 1573 Abs 1 Erwerbsmöglichkeit 1 (Gründe)
BGHWarn 1986, Nr 319 (Leitsatz und Gründe)
BGH-​DAT Zivil
NJW 1987, 898-​899 (Leitsatz 1 und Gründe)
Verfahrensgang
vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg) 11. Zivilsenat, 20. September 1985, 11 UF 197/84
vorgehend AG Emden, 22. Oktober 1984, 4 F 172/83
Diese Entscheidung wird zitiert
Rechtsprechung
Vergleiche Sächsisches Finanzgericht 8. Senat, 29. April 2015, 8 K 1580/14
Fortführung BGH 12. Zivilsenat, 15. Dezember 1993, XII ZR 172/92
Kommentare
Erman, BGB
● Hammermann, § 1603 Leistungsfähigkeit; IV. Einkünfte und Vermögen; 1. Einkommen
● Maier;Schachtschneider, § 1573 Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit und Aufstockungsunterhalt; 3. Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit
Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-​BGB
● Silke Kaplan, 10. Auflage 2023, § 1569 BGB
● Silke Kaplan, 10. Auflage 2023, § 1573 BGB
● Viefhues, 10. Auflage 2023, § 1361 BGB
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Sonstiges
Duderstadt, Unterhaltsrecht
● Jochen Duderstadt, 1 Einkommenslehre; 1.3 Das Eigeneinkommen der Berechtigten; 1.3.4 Sonstiges anrechenbares Einkommen
● Jochen Duderstadt, 4 Volljähriges Kind gegen Eltern; 4.6 Unterhalt bei Müßiggang
Horndasch, AnwF Familienrecht
● Dr. Peter Horndasch, § 4 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; V. Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, § 1573 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 BGB; 2. Anspruchsvoraussetzungen
Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht
● Schneider, D. Ehegattenunterhalt; IV. Nachehelicher Unterhalt; 4. Unterhaltstatbestände; d) Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, § 1573 Abs. 1 BGB
Viefhues et al., Das familienrechtliche Mandat - Unterhaltsrecht
● Dr. K.-​Peter Horndasch, § 3 Ehegattenunterhalt; D. Der nacheheliche Unterhaltsanspruch; V. Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit, § 1573 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 BGB; 2. Anspruchsvoraussetzungen

Tatbestand

1           Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.

2           Sie schlossen am 14. Juli 1961 die Ehe, aus der ein im Jahre 1961 geborener Sohn und eine im Jahre 1962 geborene Tochter hervorgingen. Seit dem 12. Juni 1982 ist die Ehe geschieden. Die im Jahre 1939 geborene Klägerin arbeitete vor der Ehe zuletzt als Näherin. Während der Ehe war sie nicht erwerbstätig; nach der Trennung der Parteien ließ sie sich vom 3. September 1979 bis 29. Mai 1981 zur Bürogehilfin ausbilden. Seit dem 1. November 1984 arbeitet die Klägerin stundenweise als Haushaltshilfe und erhält dafür außer Frühstück und Mittagessen an fünf Werktagen einen Nettomonatslohn von 270,08 DM. Sie erhält außerdem monatlich 164 DM Wohngeld und daneben Sozialhilfe.

3           Der Beklagte, der als Lehrer ein monatliches Nettoeinkommen von 3.835,05 DM erzielt, zahlte aufgrund einer im Scheidungsverfahren ergangenen einstweiligen Anordnung monatlich 810 DM Unterhalt an die Klägerin; diese Zahlungen, die er nach der Scheidung fortsetzte, stellte der Beklagte mit Ablauf des Oktober 1984 ein.

4           Die Klägerin hat mit der Klage monatliche Unterhaltsbeträge in unterschiedlicher Höhe ab Scheidung beansprucht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zur Zahlung von rückständigem Unterhalt in Höhe von 3.900 DM (nämlich je 350 DM für die Monate Januar 1984 bis September 1984 und 750 DM für Oktober 1984) sowie zu laufendem Unterhalt von monatlich 1.000 DM ab 1. November 1984 zu verurteilen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen (das Urteil ist abgedruckt in FamRZ 1986, 64 und NJW 1986, 199). Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Berufungsbegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5           Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache.

6           1. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß es der Klägerin nach der Scheidung grundsätzlich obliege, durch ganztägige Erwerbstätigkeit selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Daran sei sie durch ihre vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden (Schmerzen im Lenden- und Nackenbereich nach einer 1977 ausgeführten Operation eines Bandscheibenvorfalls) nicht gehindert, wenn sie entsprechend einem von ihr vorgelegten ärztlichen Attest "Arbeiten in Fehlhaltung oder Heben und Tragen" vermeide. Die damit ausgesprochene Ablehnung eines Unterhaltsanspruchs gemäß § 1572 Nr. 1 BGB wird von der Revision nicht angegriffen. Diese wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht der Ehefrau auch einen Anspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB versagt hat, obwohl sie noch keine angemessene Erwerbstätigkeit mit zu ihrem vollen Unterhalt ausreichenden Einkünften zu finden vermochte. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt: Nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die durch das Erwerbseinkommen nur des Beklagten geprägt worden seien, errechne sich ein monatlicher Unterhaltsbedarf der Klägerin in Höhe von 1.561,41 DM (3/7 des um eine Pauschale von 5% wegen berufsbedingter Aufwendungen gekürzten Nettoeinkommens des Beklagten). Dieser Bedarf sei bis Oktober 1984 durch die laufenden Unterhaltszahlungen des Beklagten und seit dem 1. November 1984 durch das Wohngeld von monatlich 164 DM teilweise befriedigt worden. Der verbleibende Bedarf müsse als durch fiktive Einkünfte gedeckt angesehen werden; denn die Klägerin hätte aus einer Tätigkeit als Bürogehilfin seit dem 1. Januar 1984 ein monatliches Nettoeinkommen von 1.400 DM erzielen können, wenn sie sich im Jahre 1983 hinreichend um Arbeit bemüht hätte. Zwar könne nach den von ihr vorgelegten Unterlagen von derartigen Bemühungen in den Jahren 1982, 1984 und 1985 ausgegangen werden. Für das Jahr 1983 habe sie aber nur drei Bewerbungen nachgewiesen. Selbst wenn zu ihren Gunsten unterstellt werde, daß sie sich noch bei fünf weiteren von ihr genannten Firmen erfolglos beworben habe, könnten ausreichende Bemühungen nicht festgestellt werden. Sie habe zwar behauptet, sich wöchentlich drei- bis viermal bei Firmen in der Umgebung ihres Wohnortes schriftlich beworben zu haben, doch sei dies wegen Fehlens näherer Angaben nicht nachprüfbar. Da die Klägerin über einen längeren Zeitraum hinreichende Bemühungen um einen Arbeitsplatz unterlassen habe, entfalle ihr Unterhaltsanspruch nicht nur für 1983, sondern - jedenfalls in Höhe des andernfalls erzielbaren Einkommens - auch für die nachfolgenden Jahre, weil ein zeitlicher Zusammenhang der gegenwärtigen Bedürfnislage mit der Scheidung nicht mehr bestehe. Es sei nicht erforderlich festzustellen, ob hinreichende Bemühungen (im Jahre 1983) erfolgreich gewesen wären, da das Gesetz allein auf die Bemühungen als solche abstelle.

7           2. Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden. Sie beruht auf einer Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen eines Unterhaltsanspruchs wegen Erwerbslosigkeit.

8           Nach § 1573 Abs. 1 BGB kann ein geschiedener Ehegatte, dem es grundsätzlich obliegt, durch Erwerbstätigkeit für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, gleichwohl Unterhalt verlangen, solange und soweit er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit "zu finden vermag". Aus dem zuletzt genannten Tatbestandsmerkmal ist zwar zunächst zu folgern, daß der bedürftige Ehegatte sich um die Findung einer angemessenen Erwerbsmöglichkeit nach Kräften bemühen muß (allgem. Meinung, vgl. Richter in MünchKomm BGB § 1573 Rdn. 9 und Rolland, 1. EheRG, 2. Aufl. § 1573 BGB Rdn. 6). In der Auferlegung der dem Anspruchsteller subjektiv zuzumutenden Anstrengungen erschöpft sich die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals indessen nicht. Ob ein Arbeitsuchender die zu einer angemessenen Erwerbstätigkeit geeignete Stelle finden kann, ist auch von objektiven Voraussetzungen wie den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und den persönlichen Eigenschaften des Bewerbers (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand) abhängig (vgl. Senatsurteil vom 27. November 1985 - IVb ZR 79/84 - FamRZ 1986, 244, 246). Die auf § 1573 Abs. 1 BGB gestützte Unterhaltsklage darf daher nicht schon abgewiesen werden, wenn zureichende Bemühungen um eine Erwerbsmöglichkeit nicht bewiesen sind, sondern erst dann, wenn feststeht oder zumindest nicht auszuschließen ist, daß bei ausreichenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte (vgl. dazu näher Senatsurteil vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 45/85 - FamRZ 1986, 885, 886).

9           Da das Berufungsgericht wegen seiner abweichenden Rechtsauffassung hierzu nichts festgestellt hat, kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Die Sache muß zur Nachholung der dem Tatrichter vorbehaltenen Feststellungen zurückverwiesen werden. Dies gibt der Klägerin zugleich Gelegenheit, zum Umfang ihrer auch im Jahre 1983 unternommenen Bemühungen um eine angemessene Tätigkeit weiter vorzutragen und Beweise anzutreten. Es bedarf daher keiner Stellungnahme zu der Frage, ob das Berufungsgericht dadurch gegen § 286 ZPO verstoßen hat, daß es die im Berufungsverfahren angebotenen Beweise nicht erhoben hat.

10         3. Für die neue Verhandlung sind folgende Hinweise veranlaßt.

11         a) Der Unterhalt begehrende Ehegatte trägt, wenn er den Anspruch auf § 1573 Abs. 1 BGB stützt, zwar die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß er nach der Scheidung keine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden vermag (vgl. Baumgärtel/Laumen, Beweislast § 1573 BGB Rdn. 1 m.w.N.). Wie der Senat in dem bereits zitierten Urteil vom 4. Juni 1986 (aaO) näher ausgeführt hat, dürfen aber die Anforderungen, die insoweit zu stellen sind, nicht überspannt werden, sondern müssen den Umständen des Falles entsprechen. Der Nachweis, daß der Anspruchsteller im Sinne des § 1573 Abs. 1 BGB keine angemessene Tätigkeit zu finden vermag, ist unter entsprechenden Umständen schon dann als geführt anzusehen, wenn nach dem Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung eine Beschäftigungschance praktisch nicht bestanden hat. Im vorliegenden Fall läßt sich den bisher getroffenen Feststellungen entnehmen, daß die Klägerin trotz hinreichend ernsthafter Suche im Anschluß an die im Juni 1982 erfolgte Scheidung weder in jenem Jahr noch in den Jahren 1984 und 1985 eine Anstellung zu finden vermochte. Das kann die Annahme nahelegen, daß auch intensives Bemühen im Jahre 1983 nicht zum Erfolg geführt hätte; denn bisher fehlen Anhaltspunkte dafür, daß 1983 bessere Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden als davor oder danach.

12         b) Gemäß § 1573 Abs. 1 BGB braucht der geschiedene Ehegatte nur eine ihm angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben; demgemäß obliegt ihm auch (nur) eine entsprechende Suche. Das Berufungsgericht wird daher prüfen müssen, ob die Tätigkeit einer Bürogehilfin für die Klägerin angemessen ist. Die zwischen Trennung und Scheidung erlangte Ausbildung stellt dafür nicht das einzige Kriterium dar. Nach § 1574 Abs. 2 BGB kommt es auch darauf an, ob die Tätigkeit den Fähigkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand der Klägerin sowie den ehelichen Lebensverhältnissen entspricht; bei diesen sind die Dauer der Ehe und die Dauer der Pflege und Erziehung gemeinschaftlicher Kinder zu berücksichtigen. Insoweit fällt daher ins Gewicht, daß die Klägerin über 20 Jahre lang als Ehefrau eines Lehrers nicht erwerbstätig war, sondern den Haushalt geführt und zwei Kinder geboren und großgezogen hat.

13         c) Falls das Berufungsgericht aufgrund der neuen Verhandlung wieder zu dem Ergebnis kommt, daß der Klägerin monatlich ein Nettoeinkommen von etwa 1.400 DM zuzurechnen ist, wird es seine Ansicht zu überprüfen haben, der übersteigende Unterhaltsbedarf in Höhe von 164 DM werde durch das Wohngeld gedeckt. Denn da die Bewilligung von Wohngeld u.a. von der Höhe des Einkommens abhängt, versteht es sich nicht von selbst, daß die Klägerin - überhaupt oder in dieser Höhe - Wohngeld bezöge, wenn sie monatlich netto 1.400 DM verdiente.

14         d) Sollte das Berufungsgericht aufgrund der neuen Verhandlung der Klägerin einen Unterhaltsanspruch nicht wiederum versagen, verweist der Senat wegen der Bemessung des Unterhaltsbedarfs unter Berücksichtigung des Wohnens im eigenen Hause und zur Beurteilung, inwieweit die Bedürftigkeit durch reale oder fiktive Kapitaleinkünfte gemindert wird, auf seine Urteile vom 29. Januar 1986 (IVb ZR 9/85 - FamRZ 1986, 437) und vom 19. Februar 1986 (IVb ZR 16/85 - FamRZ 1986, 439).